Badenweiler Literaturtage

Zum siebten Mal organisiert Rüdiger Safranski (vielen bekannt vom Philosophischen Quartett im ZDF 2002 -2012 mit Peter Sloterdijk) die Badenweiler Literaturtage vom 10. bis 13.10.2019. Zum Thema „Autografisches – Dichtung und Wahrheit“ lesen Uwe Tellkamp aus Dresden (Donnerstag, 10.10.), Marianne Leky (11.10.), Angelika Klüssendorf und Friedrich Christian Delius (12.10.) sowie Christian Berkel (Sonntag 13.10.2019).
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Ein Höhepunkt ist sicher die Reise des Dresdners „Der Turm“-Beststellerautors Uwe Tellkamp ins Markgräflerland. Ich hoffe, ihm drei Fragen stellen zu dürfen:
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(1) Auf Ihre Diskussion mit dem Lyriker Durs Grünbein Anfang 2018 im Dresdner Kulturpalast reagierten die Medien heftig: mit Ihrer Kritik wurden Sie als Nazi bezeichnet; der Suhrkamp-Verlag distanzierte sich von Ihnen. Fühlen Sie sich als Totengräber oder Leichenbeschauer der leider gestorbenen deutschen Diskussionskultur?
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(2) Sie konstatieren ein „Unisono-Tröten für Grün, Links und eine links-grün gewendete CDU“ von Politik, Medien und NGO’s. Meinen Sie „Unisono“ als Attribut des Sozialismus im Gegensatz zu „Diskussion“ als Kennzeichen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung?
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(3) Das „Unisono“-Zitat stammt aus Ihrem Beitrag „Das Volk ist nicht links“ im neuen Heft der Zeitschrift Tichys Einblick 10/2019, Seite 28-32. Als kleiner, aber mündiger Freiburger Bürger möchte diese Zeitschrift in meiner Stadt kaufen – vergeblich: In den großen Buchhandlungen wie Rombach (Auskunft: „Lesen Sie doch Cato, ist ja so ähnlich), Herder/Thalia “ und Jos Fritz (Auskunft: „Tichy – noch nie gehört“) ist Tichys Einblick nicht erhältlich. Weil die Zeitschrift nicht links genug ist?
Tags darauf versuche ich es in Basel – dort liegt die Zeitschrift sogar am Kiosk bei der Mittleren Rheinbrücke aus. Hat die fehlende deutsche Diskussionskultur nun dazu geführt, dass Internet und Schweizer Medien die zu DDR-Zeiten bestehende Funktion des Westfernsehens übernommen haben? Wird die Meinungsfreiheit nicht auch dadurch beschnitten, dass Bücher und Zeitschriften, die dem links-grünen Mainstream zuwiderlaufen, im Buchhandel überhaupt nicht mehr präsent vorgehalten werden? Komme ich als deutscher Bürger an das jüngste Interview mit Uwe Tellkamp nür heran über ein Abonnement der Zeitschrift „Tichys Einblick“ oder über eine Fahrt in die Schweiz nach Basel?
BuchHaus Loschwitz von Susanne Dagen – Politische Gespräche (2.10.2019)
7.10.2019
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7. Badenweiler Literaturtage behandeln Autobiographisches in der Literatur
Immer mehr Autoren bringen Persönliches als Buch auf den Markt. Kommende Woche behandeln die 7. Badenweiler Literaturtage dieses Thema. Vorab spricht Gastgeber und Philosoph Rüdiger Safranski über Literatur und Wirklichkeit.
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Herr Safranski, Thema der Literaturtage 2019 ist autobiografisches Schreiben.Was fasziniert Sie daran?

Der Rückgriff auf das eigene Leben hat für die Literatur große Bedeutung. Literatur enthält an sich viel Autobiografisches. Und dann gibt es die direkte Form der literarischen Autobiografie wie bei Goethes „Dichtung und Wahrheit“. Es ist auffällig, dass autobiografisch getönte Werke heute eher zunehmen. Ich fand interessant, zu betrachten, welche Rolle das Autobiografische in der Gegenwartsliteratur gespielt. Da gibt es viel zu entdecken.
Zum Beispiel?
Derzeit jährt sich der Mauerfall zum 30. Mal. Dazu haben wir Uwe Tellkamp mit seinem Roman „Der Turm“ zu Gast. Darin beschreibt er das gesellschaftliche Milieu und die Lebensatmosphäre vor 1989 in der ehemaligen DDR – und dabei auch seine eigene Geschichte. Daran wird deutlich, wie kostbar autobiografische Literatur für die Wahrnehmung von Wirklichkeit ist.

Wie ist dieser Blick auf Vergangenes einzuordnen, wieso machen Autoren so etwas?
Wo Menschen im Alltag über vieles hinwegleben, beugen sich Autoren mit ihrem Schreiben über die eigene Geschichte, um damit klarzukommen. Angelika Klüssendorf, die bei uns liest, hat einen dreibändigen autobiografischen Roman geschrieben. Im letzten Band beschreibt sie ihre Ehe mit dem genialischen und unsteten, auch ein wenig hochstaplerischen Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Frank Schirrmacher. Das soll nicht etwa die Schlüssellochperspektive des Lesers bedienen, sondern ist existenziell.Klüssendorf ist in dieser Ehe offenbar in eine Krise gekommen und arbeitet diese mit ihrem Buch auf. Literatur hilft also, wie bei Tellkamp, gesellschaftliche Wirklichkeit zu erkennen. Sie hilft aber auch, uns mit sehr individuellen Problemen auseinanderzusetzen, denen des Autors und indirekt auch mit den eigenen.
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Geht es beim autobiografischen Schreiben nicht auch darum, eigene Grenzen auszuloten?
In gewisser Hinsicht schon. Man merkt Autoren in ihren Büchern an, wie sie neue Formen finden müssen, wenn sie sich Lebensproblemen annähern. Wenn Bodo Kirchhoff sein Buch „Dämmer und Aufruhr“ bei uns vorstellt, erzählt er heikle Geschichten über sein kompliziertes Verhältnis zur Mutter, einer erfolgreichen Schriftstellerin von Frauenromanen. Kirchhoff ringt beim Erzählen regelrecht um den richtigen Ton. Das Buch behandelt auch die Episode, wie er im Internat Opfer eines sexuellen Übergriffs durch einen Lehrer wurde. Kirchhoff erzählt dabei, wie er sich eigentlich in diesen übergriffigen Lehrer verliebt hat. Wenn es so nah ans Autobiografische geht, müssen Autoren ihre Form neu erfinden. Das ist literarisch und thematisch spannend.
Sie haben „Dichtung und Wahrheit“ angesprochen. Wie gehen Sie bei den Literaturtagen auf den Wahrheitsbegriff ein?
Wenn Sie wissen möchten, wie es sich mit Wahrheit insbesondere in der autobiografischen Literatur verhält, dann stellt sich die Frage, wie viel Fantasie nötig ist, um sich Wahrheit anzunähern. Wir haben es hier mit einem erweiterten Wahrheitsbegriff zu tun. Goethe sagt, dass es Dichtung braucht, um Lebenswahrheit lebendig darzustellen. Statistik und Fakten reichen dazu nicht aus. Wenn wir uns erinnern, merken wir selbst, wie wir auf die Einbildungskraft angewiesen sind, um uns Erlebnisse lebendig zu vergegenwärtigen.

Komplettes Interview von Ralf Strittmatter mit Rüdiger Safranski vom 6.10.2019 bitte lesen auf https://www.der-sonntag.de, Seite 10
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Programm und Tickets:
https://www.badenweiler-literaturtage.de

 

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Uwe Tellkamp in Badenweiler: Lesung und Gespräche
Der Saal „Le petit Jardin“ des Kurhauses Badenweiler war bis auf den letzten Platz besetzt, als Rüdiger Safranski am 9.10.2019 pünktlich um 20 Uhr die 7. Badenweiler Literaturtage mit seinem Gast Uwe Tellkamp eröffnete.
Zunächst sprach Safranski zum diesjährigen Thema „Autobiografisches – Dichtung und Wahrheit“: Kultur hat die „nachhaltige Nahrung“, wobei Literatur die Einrichtiung ist, die „Sprache unter Kulturschutz“ stellt – eine Sprache, die derzeit durch die sozialen Medien zunehmend „versaut“ wird. Gleichwohl sei die Zahl der Liebhaber anspruchsvoller Literatur noch nie so hoch wie jetzt. Und hierzu gehört auch die Autobiographie, die ohne Poesie nicht auskommt. Wir müssen die „Sprache mit dem Herzen und mit Lust verteidigen“.
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Nun las Uwe Tellkamp aus seinem 2008 erschienenen Roman „Der Turm“ (980 Seiten, Bestseller bei Suhrkamp, Verfilmung)und dann aus dem in Arbeit befindlichen Fortsetzungsroman – 50 lange Minuten. Dem akribisch-detaillierten Schreibstil war schwer zu folgen, zwischendurch flocht Tellkamp Persönliches ein: Seine Jugend am „weißen Hirsch“ (Bezugsort von „Der Turm“) östlich der  „blaues Wunder“ genannten Elbbrücke, dem Vorort , wo das Bildungsbürgertum auf dem Hügel an der Elbe vor, während und auch nach DDR-Zeiten zu wohnen pflegt.
Arztsohn. Im „Tal der Ahnungslosen“ in Dresden-Loschwitz war kein Empfang des Westfernsehens möglich, nur Radio auf Mittelwelle. Abitur 1987. Unteroffizier in der NVA. Befehlsverweigerung bei den Flüchtlingszügen, die von Prag gen Westen in Dresdener Hauptbahnhof anhielten – kurzzeitig inhaftiert, Baggerfahrer im Braunkohletagebau. 21 Jahre alt, als die Mauer fällt.
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Dann folgte das interessante Zwiegespräch von Rüdiger Safranski und Uwe Tellkamp. In Stichworten eine Zitate von Tellkamp:
Die „2015 hereingebrochene Septembersituation“.
„Viele Anzeichen zur Rückkehr in die Planwirtschaft sind das – ein Märchen mit Ausflügen in den Realismus“
„Bildung ist etwas zum Überleben Unentbehrliches. … Ich konnte geistig nur überleben mit klassischer Literatur“ – Tellkamp nannte Goethe, Schiller und Thomas Mann.
Auf Safranski’s Frage nach Ost-West hin: „Das Phänomen DDR wird mir immer rätselhafter“. Nicht Geld, Infrastruktur, Arbeitsplätze sind das Problem, sondern „unsere Kultur und Identität„.

DDR als Unrechtsstaat versus BRD als Rechtsstaat – Safranski stellte zur BRD eine „zunehmende Illiberalität der Gesellschaft“ fest. Dazu nannte Tellkamp drei große Problemfelder unserer Gesellschaft heute:
1. „Das Messen mit zweierlei Maß: Einzelfall und Nichts mit nichts zutun“
2. „NGOs und 4. Macht (die Medien) arbeiten in bestimmten Bereichen zusammen“
3. „All die Gläubigen. Wir haben viele gläubige Journalisten als Agentasetter“

„Klima und Klimawandel werden derart hochgekocht, daß sich dieses so wichtige Thema dem rationalen Zugang entzieht.“
„Gesinnungskorridore werden enger“ – dazu nennt Tellkamp zwei Beispiele.
1) Bioläden nehmen Produkte der Hirsemühle aus dem Sortiment, da deren Chef bei der AfD ist.
2) Die hessische Filmförderung trennt sich von seinem Leiter Mendig, da er sich privat mit AfD-Chef Meuthen getroffen hat.
Zum Demonstrationsverhalten der Deutschen vor 1989 sowie 30 Jahre danach: „Familienväter warten ab, bevor sie auf die Straße gehen“.
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Dreimal während des Zwiegesprächs gab es spontanen Beifall: Bei der Erwähnung der „2015 Septembersituation“, „zweierlei Maß“ und „Gesinnungskorridore“. Wie die deutschen Gesellschaft scheint auch die abendliche Zuhörerschaft in Badenweiler gespalten zu sein, denn dem Applaus schloß sich jeweils nur die Hälfte der Besucher an.
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Abschließend im Foyer des Kurhauses wurde bei Gratis-Wein von der Winzergenossenschaft Britzingen heftig und angeregt diskutiert – weniger über den Kultur-/Literaturbetrieb, sondern über die aktuelle Politik. Tellkamp wird als politischer Autor angesehen. Viele Fragen wie z.B.:
Hätte der Suhrkamp-Verlag Tellkamp auch unterstützt, wenn er sich 2008 als eher Rechts geoutet hätte?
Wäre „Der Turm“ dann überhaupt verfilmt worden? Oder hat sich die innerdeutsche Politik erst seit 2008 so gewaltig verändert?
Trotz dem Zerwürfnis wird Tellkamp seinen Nachfolgeroman wiederum bei Suhrkamp verlegen – spielt doch Geld die entscheidende Rolle?
Müssen Literaten wie früher auch (Gruppe 47) stets links sein?
Wie kann es sein, dass ein Autor wie Tellkamp von Qualitätsmedien (FAZ, Spiegel, taz) nicht als Rechter, sondern als Rechtsextremer bis hin zu Neo-Nazi verortet wird?
Und es bildete sich eine lange Schlange zum Tisch, an dem Uwe Tellkamp seine Bücher signierte. Dabei reichlich Danke, Zuspruch von Mut und Händeschütteln – ich hatte den Eindruck, dass viele Ex-DDRler nach Badenweiler gekommen waren.

In einem kurzen persönlichen Gespräch gelang es mir, die o.a. Frage (3) an UweTellkamp zu richten – und er bejahte sie: Fernsehen/ÖR sind leider nicht mehr so neutral bzw. objektiv, wie es ihrem Medienauftrag entspricht. Das frühere so angesehene „Westfernsehen“ hat sich ins Internet (Plattformen Achgut.com, TichysEinblick.de, Cicero.de, … ) und ins Ausland (Schweiz, GBR) verlagert.
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Fazit: Ein informativer Abend. Die Lesung von 50 min hätte man kürzen sollen, um stattdessen eine Diskussion mit dem Publikum anzubieten. Schade, dass sich kaum jüngere Besucher einfanden (Publikum überwiegend im Pensions-/Rentenalter).
„Man muß sich endlich mal seine Geschichten erzählen“ – dieser im Zwiegespräch von Rüdiger Safranski zum Ost-West-Dialog getätigten Aussage kann man nur beipflichten. Man muß miteinander reden, auch zwischen Ossis und Wessis, auch zwischen Linken und Rechten. Schließlich hat Safranski ja mal sinngemäß gesagt „Wo es links gibt, muß es auch rechts geben“.
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Ich durfte in den vergangenen vier Wochen an mehreren Diskussionen teilnehmen: In Italien (Genua), Frankreich (Strasbourg, Lyon), Schweiz (St.Gallen) und Österreich (Innsbruck). Überall interessante Debatten, da das gesamts Meinungsspektrum (von ganz Links bis ganz Rechts) vertreten war im sicher hitzigen, aber ehrlichen und fairen Diskurs. Von „Gesinnungskorridoren“ (à la Tellkamp) keine Spur.
In Deutschland hingegen sind solch offene Diskussionen undenkbar, da wegen Schuld und Political Correctness nur langweiliges Gelabere von Links bis Mittelinks zugelassen ist – Tellkamp spricht vom „Unisono“-Gelabere (s.o.).
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Zu dem von Tellkamp genannten Punkt 1): Biohändler listen AfD-Hirse aus
AfD-Hirse: ZDF stellt grüne MdB als gewöhnliche Kundin dar (15.10.2019)
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„Kein enkeltaugliches Wirtschaften“
Alnatura, BioCompany, dennree, Weiling, Biomare verkaufen keine Ware der Spreewälder Hirsemühle mehr, weil deren Chef bei der AfD aktiv ist. Erinnerung ans vergangene  „Kauft nicht bei den Juden“?
.. mehr vom 7.10.2019 bitte lesen auf https://taz.de/Biohaendler-listen-AfD-Hirse-aus/!5631051/

Zu dem von Tellkamp genannten Punkt 2) Hessische Filmförderung trennt sich von Chef nach Gespräch mit AfD
Nach einem umstrittenen Gespräch mit AfD-Chef Jörg Meuthen hat sich die hessische Filmförderung von ihrem Leiter Hans Joachim Mendig getrennt. Erinnerung an Sippenhaft?
… mehr vom 24.9.2019 bitte lesen auf https://www.spiegel.de/kultur/kino/treffen-mit-joerg-meuthen-hessenfilm-trennt-sich-von-hans-joachim-mendig-a-1288446.html

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11.10.2019

 

Verhältnisse wie in der späten DDR
Uwe Tellkamp eröffnete die 7. Badenweiler Literaturtage.
Rüdiger Safranski konnte zufrieden sein. Zur Eröffnung der 7. Badenweiler Literaturtage strömten die Massen in den Gartensaal des Kurhauses. Eine prächtige Kulisse für jene Form der Weltaneignung, deren Krise durch Leserschwund nicht nur beschworen wird. Der Kurator und alleinige Moderator des dreitägigen Festivals hatte allerdings – woher auch immer – andere Zahlen parat: Die Zahl der anspruchsvollen Leser sei gestiegen im Vergleich zu den 60er und 70er Jahren, verkündete Safranski frohgemut vom Rednerpult aus und verwies auf den reich bestückten Büchertisch der Müllheimer Buchhandlung Beideck, die in diesem Jahr mit dem Buchhandelspreis der Bundesbeauftragten für Kultur auszeichnet wurde. Man will hoffen, die Besucher der Literaturtage machen reichlich Gebrauch davon.
Von Uwe Tellkamp werden sie dort allerdings nur einen Roman finden, der bereits elf Jahre alt ist – allerdings eine rasante Erfolgsgeschichte hinter sich hat. Als „Der Turm“ 2008 erschien, wurde er als der große DDR-Roman gefeiert, erhielt den Deutschen Buchpreis, verkaufte sich mehrere hunderttausend Mal und wurde verfilmt. Schwer, daran anzuknüpfen. Deshalb las Tellkamp auch zunächst aus seinem Opus Magnum das mit „Im Tal der Ahnungslosen“ betitelte 51. Kapitel, das mit umständlicher Genauigkeit Einblick gibt in die marode Verfassung einer Dresdner Klinik in Zeiten der Mangelwirtschaft.
Auf das nun Kommende war man gespannt: Der nach Aufenthalten in Westdeutschland – unter anderem auch für kurze Zeit in Freiburg – seit einigen Jahren wieder in Dresden lebende Autor las aus der Fortsetzung seiner Saga vom Weißen Hirschen, dem Villenviertel jener Stadt, in der die rechtsextreme Pegida seit Jahren ihre Heimat hat. Wenn man recht verstanden hat, führte dieser Auszug in das bundesdeutsche Verteidigungsministerium, das bei Tellkamp den verräterischen Namen VeMini trägt und von einer gewissen Flintenbrigitte geleitet wird. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt. Diese Institution, der Tellkamp allein durch seinen dreijährigen Dienst bei der NVA, der Nationalen Volksarmee der DDR, gedanklich nahestehen dürfte, erschöpft sich in sinnlosen Aktionen, in die Tellkamps beachtlicher literarischer Erfindungsreichtum eingegangen ist. Soll das Satire sein? Wenn, dann eine sehr bemühte.

Tellkamps Gesprächspartner Safranski unternahm leider nichts, um den dunkel bleibenden Sinn des Gelesenen aufzuklären. Als Tellkamp seinen Versuch, die Zustände bei der Bundeswehr mit denen in der DDR zu parallelisieren, abschmetterte („das ist Zufall“), bog Safranski schnell ab auf ein vermeintlich sichereres Terrain: die Deutsche Demokratische Republik, wie sie im „Turm“ erscheint.
Doch auch hier blitzte schnell Uwe Tellkamps Unmut über die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse auf. Er kulminiert für ihn in einem Krisendatum, das er allerdings nur verklausuliert zur Sprache brachte: die Ereignisse vom September 2015. Nun ja. Jeder weiß, was gemeint ist. Und jeder im Saal wusste vermutlich auch, dass Tellkamp aus seiner Sympathie für rechte politische Positionen kein Hehl macht. Er gehört zu den Erstunterzeichnern der nach der Leipziger Buchmesse 2018 im Internet von Intellektuellen aus dem rechten Spektrum bis hin zur Identitären Bewegung verbreiteten „Erklärung 2018“ gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.
Der Schriftsteller, dessen angespannte Gesichtszüge davon zu künden schienen, dass er permanent unter Druck steht, sprach von „Aktivisten“ und von der mit ihnen verbündeten „vierten Gewalt“ – der Presse –, die einen enormen Konformitätsdruck erzeuge. Das „links-versifft“ darf man sich dabei mitdenken. Die Verhältnisse in der Bundesrepublik seien für ihn mit denen in der späten DDR vergleichbar. Sagte Tellkamp. Starker Tobak, dem Safranski nur zaghaft zu widersprechen wagte („wir leben in einem liberalen Staat“), nicht ohne sich selbst als Opfer dieses „Konformitätsdrucks“ ins Spiel zu bringen und – wie billig – von linken „Schlägerbanden“ zu sprechen, die beim G7-Gipfel in Hamburg ihr Unwesen getrieben hätten.
Ja, Uwe Tellkamp muss gehörig leiden. Er inszeniert sich – wie viele seiner Weggefährten – als Opfer eines Medienkartells, das mit „Gesinnungskorridoren“ arbeitet. Aber er darf diese Meinung äußern, immer und überall, unter dem Applaus der Anwesenden auch in Badenweiler, und muss nicht fürchten, dafür ins Gefängnis geworfen zu werden wie in der DDR – die er als sozialistische Utopie bezeichnete, in der Bildung für alle und die Pflege des literarischen Erbes hehre Ziele gewesen seien.
Dem kann und will man nicht widersprechen. Auch nicht Tellkamps Analyse, dass die Bürgerrechtler in ihrem Widerstand gegen die Diktatur der Funktionäre den Kopf hingehalten hätten, aber später vom Volksvotum weggefegt worden seien. „Wir sind ein Volk“: Den Sprechchören hätten sie nicht folgen können. Sie hatten recht. Bis heute sind wir nicht ein Volk. „Wer wollen wir sein?“ Diese Frage von Uwe Tellkamp wird uns Deutsche noch länger beschäftigen.
…. Alles von Bettina Schulte von 12.10.2019 bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/verhaeltnisse-wie-in-der-spaeten-ddr

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Uwe Tellkamp liebt die Freiheit ohne „zufällig“ herumstehende junge Männer
Meine Mutter Maria Kaier (geb 1907 in Wattenscheid, gest. 2006 in Freiburg) war in den 1930er Jahren Gymnasiallehrerin für Deutsch und Französisch an der Deutschen Schule in Den Haag/Holland. Ihr damaliger Kollege und wohl auch Freund Herbert Wotte war Lehrer für Deutsch und Russisch.
Später zu DDR-Zeiten wohnte Wotte ab 1970 oben in Dresden-Loschwitz am Weißen Hirsch, am Hang zur Elbe, einem Bonzenviertel, in dem neben den SED-Kadern auch Künstler (wie der Tenor Peter Schreier) und eben Herbert Wotte wohnten, der vom Lehrer zum Star-Übersetzer für russische Literatur in Diensten der DDR-Kulturbehörden avancierte.
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Meine Mutter schickte viermal im Jahr ein Paket nach Dresden mit guten Sachen (Kaffee mindestens Jacobs Krönung). Vielleicht zum Dank vermittelte Herbert Wotte bei den Behörden, dass sein Sohn Dr. Joris Wotte, Physiker an der TH Dresden, mich 1974 für eine Woche nach Dresden einladen konnte. Ich war damals als Informatiker bei der IBM mit den neuen Großcomputern IBM /360 und /370 beschäftigt.
Joris Wotte bewohnte mit seiner vierköpfigen Familie am vornehmen Weißen Hirsch (vergleichbar mit FR-Herdern Wintererstrasse oder FR-Lorettoberg ganz oben) 50 m unterhalb seines Vaters eine 110 qm große Wohnung im EG einer alten Villa, in deren Garten drei Badewannen standen, um das aus den maroden Dachrinnen tropfende Wasser aufzufangen. Ich mußte mich jeden zweiten Tag bei der Polizei in Dresden melden. Beim Verlassen des Vilengrundstücks bemerkte ich „zufällig“ herumstehende junge Männer, die mir stets „zufällig“ folgten – Stasi-Mitarbeiter, wie mir Joris erklärte. Joris hatte seinen Plan, eine Professur in Physik zu übernehmen, aufgeben müssen, da er als strenger Protestant seine Kinder nicht zur Jugendweihe schickte, wohl aber zur Konfirmation. Ich konnte mit ihm die rückständigen Robotron-Rechner an der Uni Dresden besichtigen, natürlich war ich als moderner IBM-er hochwillkommen, allerdings auch bei der Stasi. So kam es wie es kommen mußte: bei einer abendlichen Einladung ins Restaurant „Zum blauen Wunder“ an der Elbe wurde von der Stasi versucht, mich als IBM /370-Spitzel anzuwerben – auch Alkohol war im Spiel. Ich habe es Joris Wotte zu verdanken, dass die Stasi scheiterte: Joris packte mich irgendwann spätabends plötzlich an der Hand, dann hinaus und zu Fuß zurück hoch in die alte Villa.
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Heute wohnt Uwe Tellkamp mit seiner Familie wieder im Bonzenviertel am Weißen Hirsch von Dresden-Loschwitz, ganz in der Nähe der Wotte’s. Wenn er aus dem Haus geht, stehen dann auch „zufällig“ junge Männer herum? Und wenn es unten am Fuß des Stadtteils Weißer Hirsch, im Buchhaus Loschwitz von Susanne Dagen, eine Veranstaltung gibt (zuletzt das Interview mit Alexander Wendt zu „Das Volk ist nicht links“ (Tichys Einblick 10/19, S. 28f.), dann kann es auch sein, dass junge Männer „zufällig“ herumstehen? Natürlich nicht von der Stasi, aber indirekt auch vom Staat über irgendwelche „Kampf gegen Rechts“-Programme finanziert. Wer wohl bezahlt die Antifa?
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Meine eigenen Erfahrungen mit „zufällig“ mich erwartenden bzw. mir folgenden bzw. mich bedrängenden jungen Männern der Stasi im Jahr 1974 in Dresden-Loschwitz am Weißen Hirsch, wo auch der Roman „Der Turm“ spielt, lehrt mich: Uwe Tellkamp, der am Weißen Hirsch aufgewachsen ist und heute wieder dort wohnt, ist im Grund weder ein Linker noch ein Rechter, sondern ein Liberaler, dem es primär um die Freiheit geht – eine Freiheit ohne „zufällig“ herumstehende junge Männer.
Einerseits geht es Tellkamp um die Freiheit, sich frei bewegen zu können, auch auf dem Weg zum BuchHaus Loschwitz von Susanne Dagen, die ihre Pegida-Nähe bekennt, auch in Leipzig in Vierteln mit linker Dominanz.
Andrerseits geht es ihm um die Freiheit zur Äußerung einer vom „Unisono“ abweichenden Meinung – verbal in der Diskussion wie auch schriftlich in Zeitung, Zeitschrift bzw. Buch.

Wenn man alle Kritiker der Rettungspolitik von Angela Merkel (Euro-Rettung, Energie-Rettung, Migranten-Rettung, Klima-Rettung) als Rechte einordnet, dann verengt man das breite Spektrum politischer Meinungsbildung schon erheblich.
Wenn Uwe Tellkamp die deutsche Rettungs-Hegemonie in der EU ablehnt, dann tut er dies als ein Schriftsteller, dessen Gespür für Realpolitik seiner Sozialisation in der Ex-DDR zu verdanken ist. Da ist kein Platz für deutschen Größenwahn noch für deutschen Selbsthass. Für mich ist Tellkamp noch nicht einmal ein Rechter, sondern ein Wertkonservativer der politischen Mitte, ein Liberaler, der im Grunde nichts mehr tut als dem vor dem Jahr 2002 geltenden Parteiprogramm der CDU nachzutrauern. Traurig!
13.10.2019

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