Arm und Reich – Kapital Arbeit

Ist vom Auseinanderdriften von Arm und Reich die Rede, denkt man zumeist an Niedriglohnsektor, Billigzweitjobs, Jugendarbeitslosigkeit, Pilotenstreik und Managergehälter. Doch das Hauptproblem liegt nicht im Arbeitsmarkt, sondern im Kapitalmarkt: Solange die Rendite des Kapitals über der Wachstumsrate der Volkswirtschaft liegt, solange also der Zins auf Vermögen (4-5%) höher ist als der Lohnzuwachs (1-1,5%), wächst die Kluft zwischen Arm und Reich immer mehr. Und die hieraus folgenden sozialen Spannungen hält die Demokratie auf Dauer nicht aus.

(1) Wirtschaftliche Gleichheit und Mittelschicht 1950-2000
In der Nachkriegsjahren 1950 bis 2000 haben die Demokratien Europas und der USA mehr wirtschaftliche und soziale Gleichheit geschaffen: Zur Jahrtausendwende gab es Sozialstaaten und eine breite Mittelschicht als die soziale Neuerung des 20. Jahrhunderts. Das Pro-Kopf-Einkommen verachtfachte sich zwischen 1960 und 1993 auf 36000 DM. Um 2000 besitzen die 10% Reichen um die 60% des Privatvermögens, 50% besitzen nichts oder wenig und dazwischen liegt eine starke Mittelschicht mit 40%.

(2) Dominanz des Kapitals seit 2000
Diese breite Mittelschicht wird zunehmend schmaler: Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, da die Rendite des Kapitals die Wachstumsrate der Volkswirtschaft übertrifft. Wenn die Rendite des Kapitals bei durchschnittlich 4-5%  liegt, die Wirtschaft (und damit die Löhne und Gehälter) aber nur mit 1-1,5 % wächst, dann nimmt die Ungleichheit rasend schnell zu. Nur bei einem Wachstum von 4-5% könnte das Gleichgewicht von Kapital und Arbeit gehalten werden. Doch schon ein Wachstum von 1-1,5% ist bei der stagnierenden demografischen Entwicklung langfristig kaum zu halten. Auf eine Generation (also 30 Jahre) bezogen bedeutet dies eine Steigerung der Wirtschaftsleistung um ein Drittel (bei 1% Wachstum) bzw. um die Hälfte (bei 1,5%).

(3) Besteuerung von Vermögen bzw. Kapitaleinkommen
Die Schere zwischen Arm und Reich driftet bei der Vermögensverteilung viel stärker auseinander als bei den Einkommen, da reiche Kapitaleigner vom Fiskus mehr geschont werden als abhängig und selbständig Beschäftigte: Denn Kapitalerträge werden mit pauschal 25% besteuert, während der Höchstsatz der Einkommenssteuer bei 45% liegt. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Vergangenheit nicht die Zukunft auffrisst. Wenn ein beträchtlicher Kapitalstock einmal in den Händen einer Minderheit ist, wird das vererbte Vermögen tendenziell wichtiger als das erarbeitete. Dieser Prozess verstärkt sich selbst. Weder ist er ökonomisch sinnvoll noch sozial und politisch verträglich“, so der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty in „Das Kapital frißt die Zukunft“, Spiegel 12/2014, S. 65-67, https://www.spiegel.de/. Deshalb befürwortet auch Piketty eine globale Kapitalsteuer auf Grundlage einer maximalen Transparenz der internationalen Finanzmärkte wie folgt:
a) Kapitalerträge sind nicht mehr fix 25% (Abgeltungssteuer), sondern mit dem persönlichen Steuersatz zu versteuern. Die alte Steinbrück-Regel „Besser 25% von X als 45% von nix“ gilt immer weniger, seit in Europa de fakto kein Steuergeheimnis bei den Banken mehr existiert.
b) Vermögenssteuer: Das Privatvermögen (Immobilien, Aktien und Bargeld) ist mit 6 Billionen Euro mehr als doppelt so hoch wie die jährlich Wirtschaftleistung. Hier fordert Piketty eine progressive Kapitalsteuer: Vermögen bis 1 Mio Euro steuerfrei, 1% Steuer pro Jahr auf Vermögen zwischen 1 und 5 Mio, 2%  pro Jahr auf Vermögen über 5 Mio, …., bis hin zu 10% jenseits der 1 Mrd Euro an Vermögen. Diese progressive Vermögensbesteuerung wird von Bert Rürup als „naiv“ abgetan.
c) Erbschaftssteuerung: In D werden jedes Jahr ca 250 Mrd Euro vererbt, doch in 2013 kamen nur 4,6 Mrd Euro an Erbschaftssteuer rein, also weniger als 2% – Deutschland gilt als Steueroase für Erben. Zweck ist neben der Erschließung neuer Finanzquellen (ca 4% des Nationaleinkommens) die Regulierung des Kapitalismus, um der sonst drohenden sozialen Zerreißprobe zu entgehen. Das große Vererben hat in D erst begonnen. Aber ohne echte Erbschaftssteuer wird sich die unfaire Vermögensverteilung weiter manifestieren
d) Nationale Alleingänge sind aufgrund der zu erwartenden Kapitalflucht ausgeschlossen. Da die EU und USA zusammen fast die Hälfte des globalen Bruttoinlandprodukts erwirtschaften, muß die Kapitalbesteuerung im Freihandelsabkommen TTIP verankert werden. Ziel wäre die Erstellung eines internationalen Vermögenskatasters.

(4) Demokratie
Wenn das Kapital mehr erbringt (Zins) als die Arbeit (Lohn), dann werden die Reichen werden immer reicher, deren Kapitalanhäufung führt zu immer größeren Ungleichheiten in der Gesellschaft, die als ungerecht empfunden wird. Einerseits liegt der Demokratie der Glaube an eine Gesellschaft zugrunde, in der soziale Ungleichheit auf Leistung bzw. Arbeit beruht, nicht aber auf Abstammung und Erbe bzw. Kapital. Andererseits müssen immer mehr Bürger erkennen, dass es zunehmend schwieriger und weniger lukrativ ist, vom Ertrag der Arbeit zu leben als vom Ertrag des ererbten Kapitals.
Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit werden leere Versprechungen, die allenfalls im Einzelfall zum Erfolg führen. Das liberale Selbstverständnis der US-Gesellschaft, wonach jeder zu Reichtum kommen kann, wenn er sich nur ordentlich anstrengt, wird zur Farce.  Der freie und ungeregelte globale Wettbewerb führt nicht zu einer reinen Leistungsgesellschaft, in der alle die gleichen sozialen Aufstiegschancen haben und in der Demokratie gedeiht, sondern zu einer Konzentration des Kapitals und Spaltung der Gesellschaft, die die Demokratie zerstört. Dazu Thomas Piketty: „Die Dynamik des Kapitalismus kennt keine Moralität. Sie entfaltet sich endlos weiter, solange die Institutionen der Demokratie sie nicht regulieren, wenn nötig radikal.“
Die ärmeren Bevölkerungsschichten koppeln sich längst ab. Sie verabschieden sich vom politischen Entscheidungsprozess  (in guten Kölner Vororten lag die Wahlbeteiligung bei fast 90%, in Hochhaussiedlungen bei unter 40%) und begeben sich in Hartz IV

(5) Armut im Alter
Das Berlin-Institut stellt in einer Studie vom April 2014 fest, dass die demografische Entwicklung dazu führt, dass künftige Erwerbsgenerationen „nicht nur mehr in die Rentenkasen einzahlen und länger arbeiten müssen, sie werden sich auch mit bescheideneren Renten abfinden müssen.“ Die Lasten dieser Überalterung sind ungleich verteilt, sie treffen Familien härter als Kinderlose, Junge mehr als Alte und einkommensschwache Bürger ohne Vermögen stärker als Gutverdienende sowie Reiche. Die Ungleichheit entsteht schon dadurch, dass die jeweilige Generation der Erwerbstätigen per Umlagesystem die Renten finanziert, das Armutsrisiko ist in den jüngeren Altersgruppen deutlich höher als in den älteren. Zumal die Kosten für Kindererziehung und -betreuung weitgehend an den Familien hängen bleiben.

(6) Arbeitslosigkeit und „gerechter Lohn“
Die Probleme der Arbeitslosigkeit (vor allem die erschreckend hohe Jugendarbeitslösigkeit in EU-Südstaaten wie Griechenland und Spanien), der Lohngerechtigkeit (Mindestlohn, Niedriglohnsektor, Pilotenstreik, Managergehälter jenseits der Euro-Million) und der Chancengleichheit (Bildungssystem. Talente des Kindes entscheiden über seine Zukunft, nicht aber das Elternhaus) sind ernst und warten auf Lösung. Gleichwohl erscheinen diese Arbeitsmarkt- und Bildungsprobleme klein gegenüber dem riesengroßen Problem der Kapitalmärkte national wie international. Denn die ungeregelte Voranschreiten der Tendenzen von „Kapitalrendite höher als Wachstumsrate des Sozialprodukts“, „Top oder Flop-Gesellschaft“,  „Auseinanderdriften von Arm und Reich“ zerstört die Demokratie, den sozialen Frieden, die Mittelschicht und den Sozialstaat.

Zustimmung erfährt Piketty vor allem in den USA, wo der Traum vom Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär verteidigt werden will. Mit der These, Kapitalerträge seien auf Dauer höher als Einkommen durch Arbeit, wird das Leistungsprinzip als Grundfeste unserer Gesellschaft ausgehebelt: Jeder kann es nach ganz oben schaffen, wenn er sich nur genügend anstrengt – dies stimmt nach Piketty heute nicht mehr.

Die Kritik an Piketty ist vielfältig:
– Rentiers erhalten derzeit Kapitalzinsen von nur 1%, also unter der Inflationsrate.
– Vermögenssteuern sind selbstschädigend, allenfalls Grundsteuern lassen sich erhöhen.
– Piketty ignoriert die „soziale Marktwirtschaft“
Die Zustimmung zu der Warnung Pikettys „Kapital erbringt mehr (Zins) als die Arbeit (Lohn)“ jedoch auch
18.5.2014

Thomas Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert, Deutsche Übersetzung Ilse Utz,
Verlag C.H.Beck, 3.12.2014

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