Unserainer het drej gsichter – „Ist uns nicht die Gewohnheit antrainiert worden, die Sprache bei jedem politischen Umschwung auszuwechseln?“ So umriss der elsässische Schriftsteller und Dichter André Weckmann 2005 in seinem Erzählband „Schwarze Hornissen“ das Dilemma der Elsässer. Weckmann schrieb deutsch, französisch, elsässisch und gehörte zu den bedeutenden Vertretern der Dialektdichtung, weil er seiner Muttersprache Bilder, Klänge und den unverwechselbaren Ausdruck abzuringen vermochte. Mit seinem Tod verstummt eine der großen literarischen Stimmen aus dem Elsass und am Oberrhein.Weckmann, im November 1924 in eine Wirtsfamilie in Steinbourg im Nordelsass hineingeboren, trat nicht nur für die Dreisprachigkeit und die Kultur seiner Region zwischen Deutschland und Frankreich ein. Mit den Mitteln des Poeten beschrieb und verarbeitete er auch das Schicksal der zwangsrekrutierten Elsässer. Weckmann war 19 Jahre alt, als er in die deutsche Wehrmacht eingezogen wurde: Ein Malgré-nous. Ein Jahr später desertierte er und schloss sich dem französischen Widerstand an. Auch dieser Kampf machte ihn zu einer moralischen Instanz. Nach dem Krieg wurde er Deutschlehrer und unterrichtete parallel zu seinem schriftstellerischen Schaffen bis 1989 an einem Straßburger Gymnasium. Weckmann schonte seinesgleichen nicht, wenn er dem elsässischen Zwiespalt auf den Grund ging.
„Unserainer het drej gsichter.
Unserainer het drej Seele“,
lauteten entsprechend die ersten Verse eines Gedichts. Das Elsass ignoriere seine kulturelle Verzweiflung, übersetze sich permanent und verliere sich dabei, schrieb er in den späten 80er Jahren, in der französischen Ausgabe seines zunächst in Deutschland erschienenen Bandes „Odile oder das magische Dreieck“.
In den vergangenen Jahren war er selten öffentlich präsent, wenngleich seine Themen nicht an Aktualität verloren haben. Für „Die Fahrt nach Wyhl. Eine elsässische Irrfahrt“, entstanden vor dem Hintergrund des Antiatomkampfs am Oberrhein, wurde er 1976 mit dem Hebel-Preis ausgezeichnet. 1990 erhielt Weckmann die Carl-Zuckmayer-Medaille, zeitgleich mit Adolf Muschg und Martin Walser. Literatur, Dichtung, politisches Engagement flossen bei Weckmann ineinander. Kriegswunden und Heimkehr waren neben der Sprache und Identität der Elsässer seine großen Themen.
Weil er ein Künstler war, fand Weckmann die Worte für das Schicksal der Elsässer. Was er einer seiner Figuren zugedacht hat, galt auch für ihn: „Der Krieg hat keine Bitterkeit zurückgelassen, nur einen wachen Geist, ein beobachtendes Auge.“
31.7.2012, Bärbel Nückles
André Weckmann: Ein Nachruf
Auch die grenzüberschreitende Umweltbewegung am Oberrhein trauert um André Weckmann. Der „große, alte Mann“ der Literatur im Elsass und am Oberrhein, der uns in unseren frühen Konflikten für die Umwelt und für
ein Europa der Menschen begleitet hat, ist am 30. Juli 2012 im Alter von 88 Jahren gestorben. Seine Bücher und Gedichte in elsässerditsch, französisch und hochdeutsch waren und sind – vergleichbar mit der Literatur von René Schickele – ein wichtiges Bindeglied über den Rhein.
Geprägt hat ihn seine Jugend im Krieg: 1943 wurde der Zwanzigjährige zwangsrekrutiert für die deutsche Wehrmacht. Dann kamen Verwundung, Heimaturlaub, Desertion, und zum Glück ist er keinem deutschen
Kriegsgericht in die Hände gefallen. Wer Menschen und Landschaft am Rhein, insbesondere aber die Geschichte,
die Badener und Elsässer, Deutsche und Franzosen früher trennte und heute verbindet, verstehen will, der sollte unbedingt Weckmanns elsässisch-badischen Schlüsselroman „Wie die Würfel fallen“ lesen. Andre Weckmann, der sensible Sprachkünstler, der von sich selbst sagte, er sei „kein Herdenmensch“, hat sich gleichwohl in einem wichtigen historischen Moment auf die beginnende ökologische Bewegung am Oberrhein eingelassen und ist aufgetreten in den (damals illegalen) Freundschaftshäusern von Marckolsheim, Wyhl, Gerstheim, er hat sich als
Künstler engagiert. Wir verdanken ihm großartige kraftvolle Gedichte in elsässischer Sprache, die man hüben und drüben versteht. Ihm war von Beginn an klar, dass auf den besetzten Plätzen der 70er Jahre mehr entzündet wurde als ein Strohfeuer: «En Marckelse hets aangfange». André Weckmann war vor allem immer auch ein großer Europäer. Sein und unser Europa war immer das Europa der Menschen, nicht das Europa der Konzerne, der Bürokraten und vor allem nicht das der „Festung Europa“.
3.8.2012, Jean Jacques Rettig (CSFR), Axel Mayer (BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein)
https://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/andre-weckmann.html
MARCKELSE
en Marckelse hets aangfange
Marckelse lejt am Rhin
en Marckelse han mer s guldene kalb gstoche
en Marckelse han mer d demokratie entdeckt
en Marckelse han mer d granze gsprangt
en Marckolse sen mer majorann worre
en Marckolse hets aangfange
Marckelse em Elsass
(André Weckmann)
André Weckmann: Eine kleine Auswahl
aliénation htttp://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/alienation.html
Rhingold <https://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/rhingold.html
Speak white https://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/speak-white.html
Wesse welle mer https://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/wesse-welle-mer.html
D Neger, des sin d Elsässer gsi
Het er de Elsässer ironisch in s Gwisse gredet, de André Weckmann, un uns nit minder. D Neger, des sin d Elsässer gsi, wu elsässisch gschwätzt hen, d Negersprooch, un nit franzeesch – un mir natierlig au, mir, wu hen solle schiin schwätze, wie selli in Bonn un später in Berlin, mir, d Glackmeierti, d Neger.
Des Ganze isch au brisant gsi, wil des Gedicht „speak white“ gheiße un dodemit uf Amerika zeigt het, wu mit de Sprooch au gherrscht worre-n-isch un noch gherrscht wurd. De André Weckmann isch einer gsi, wu mit de Sprooch Politik gmacht het. Awer was heißt do Sprooch? Er het jo drej Sprooche gha un au in allene drej gschriiwe, uf Elsässisch, uf Franzeesch un uf Hochditsch. Er isch einer vun sellene gsi, wu schu frieh gmerikt hen, aß mr mit drej Sprooche numme Vorteiler het, Triphonie het er dezue gsait, un aß d Elsässer do e großes Glick hebte, mit ihre drej Sprooche.
S Elsiss un s Elsässischsii sin allewil sini große Theme gsi, ob s um d „elsassisch grammatik“ gange-n-isch oder de Kampf gege „Marckelse“, um „Odile oder das magische Dreieck“, „Fonse ou l’education alsacienne“ oder „Wie die Würfel fallen“. Bis zletscht – am letschte Sunnti isch er in Strooßburig gstorwe – het er noch gschriiwe un e nejs Buech zammegstellt, „IXIDIGAR – aimer / lieben“, mit Liewesgedichter us de letschte 30 Johr.
Er het allewil mit de Sprooch gschafft, mit de „volikssproch“, het sich un uns ufgfordert:
„speel met ere
lach met ere
lieb met ere
de gogl met ere
arnscht met ere
hil met ere
dewwer met ere
schaff met ere
batt met ere
wax met ere
lab met ere
sterb met ere
volikssprooch – se lusst alles met si düen
modl se um
schnid ere d hoor
schmink ere s gsecht
derfsch alles met ere düen
numme di net schamme wajere
numme di net schamme.“
Sunsch si-mr un bliiwe-mr d Neger.
4.8.2012, Wendelinus Wurth