Adonis – Syrien ohne den Islam

Der syrische Lyriker Ali Ahmad Said Esber (86), genannt Adonis (die letzte Silbe mit dem „i“ wird betont), gilt als der größte Dichter der arabischen Welt. Politisch jedoch ist er umstritten: Da er sich nicht offen gegen Assad bzw. für die syrische Opposition positioniert, wird er als heimlicher Freund Assads verdächtigt. Dazu Adonis vor Verleihung des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises in Osnabrück am 19.2.2016:.
„IS, Al-Nusra, Assad und die vielen anderen Oppositionsgruppen – alle akzeptieren die Vorherrschaft des Islam. Das kann und will ich nicht unterstützen. Ohne die Trennung von Islam und Staat löst immer nur eine Diktatur die andere ab. Ohne Rechte für die Frau, ohne Religionsfreiheit. Eine Zukunft für Syrien gibt es nur ohne den Islam.“ Nur in einem laizistischen System wie in Frankreich, wo er lebt, sieht Adonis Zukunft und Hoffnung für die arabischen Staaten. Den Islam als reformunfähiges politisch-religiöses Gebilde lehnt er ab.

Adonis sieht sich als leidenschaftlicher Pazifist, der Gewalt ablehnt, und als Utopist: Poesie ist eine Frage. Religion dagegen eine Antwort. Deshalb sage ich, dass Dichtung eine Dekonstruktion der religion ist. Das Schöpferische an ihr (der Dichtung) ist die Fähigkeit, eine andere Welt zu entwerfen. Sie ist ihrem Wesen nach ein utopisches Projekt. Für die arabische Kultur gibt es keine Hoffnung, die auf der Kontinuität der Vergangenheit beruht.“

In den vielen Straatsstreichen im arabischen Raum wie auch im syrischen Bürgerkrieg sieht Adonis keine Chance zur Befreigung der Völker: „Ein Regimewechsel ändert doch nicht die Gesellschaft, die dem regime zugrundeliegt. … Die Völker haben sich darauf konzentriert, die jeweiligen Machthaber zu stürzen. Wo sie einen Diktator lsgeworden sind, wie in Ägypten, haben sie einen anderen bekommen und jubeln ihm schon wieder zu.“

Dem Islam zw. der vom islam geprägten kulturellen tradition gibt Adonis die Hauptschuld am Untergang Arabiens: „Die arabische Geschichte ist eine geschichte der Diktaturen und der Gewalt, nicht des Volkes. Einedemokratische Revolution kann in der arabischen Welt nur gelingen, wenn religion und Politik getrennt werden.“

Adonis fordert so etwas wie eine Aufklärung für sein Land: „Soll die syrische Opposition, die mich attackiert, ein Manifest verfassen, das folgende Grundprinzipien aufzählt:
erstens die Religionsfreiheit einschließlich der Freiheit, nicht zu glauben
zweitens die Gleichstelung der Frau,
drittens die Nichtdiskriminierung jeder Konfession und jeder Minderheit,
viertes die gleichen Rechte für alle Bürger als freie und autonome Individuen
fünftens die Unabhängigkeit der Nation
– ich würde unterzeichnen, sofort.“

Die Araber müssen den herrschenden Islam abstreifen. Die Religion muß ins Private zurück finden: „Eine Revolution, die ihren Namen verdient, wie die Französische, muß den Bund zwischne Macht und religion zerschlagen. Die Religion darf keine nationale Identität stiften.“

Adonis bezeichnet sich als gläubigen Mensch: „Der Mensch braucht den Glauben, um sein verhältnis zum Tod und zum Jenseits zu bestimmen. Das resektiere ich, ich bin nicht areligiös. Aber ich bin immer gegen eine institutionalisierte Religion , die einer ganzen Gesellschaft ihren Stempel aufdrückt. Das Grundproblem der sog. arabischenRevolution besteht darin, dass sie die Religion politisch instrumentalisiert. Der Glaube muß dem Einzelnen zurückgegeben werden.“

Die Kultur Arabiens sieht Adonis am Boden – zerstört vom Islam: „Der Islam hat die Poesie getötet, indem er einen Mord an der Subjektivität des Menschen im Namen der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, beging. Es gibt keinen einzigen großen Dichter, der ein gläuber Muslim im Sinne des dogmatischen Islam gewesen wäre. Auch keinen Philosophen. Die besten Dichter waren Mystiker (wie die Sufisten) und als solche verdächtig. Philosophen und Poeten hatten mit der religiösen Orthodoxie und ihren militanten rehtsgelehrten nichts zu tun. Der islam, den der Fundamentalismus verkündet, ist eine Religion ohne Kultur. Es gibt heute keine arabische Kultur mehr.“
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Für Syrien sieht Adonis kurzfristig keine Hoffnung auf Frieden: „Es ist nicht nur die materielle Zerstörung eines Landes, sondern die Vernichtung eines Volkes.  Diese Massenflucht ist beispiellos. . … Der Nahe Osten, die ganze arabische Welt ist in einen Hundertjährigen Krieg eingetreten. Was wir erleben, ist ein Untergang, kein Anfang, ein Ende, kein Neubeginn.“
19.2.2016

Obige Zitate entnommen aus:
Adonis: Der Islam hat die Poesie getötet, DER SPIEGEL vom 13.2.2016, Seiten 118 – 121
https://magazin.spiegel.de/digital/index_SP.html#SP/2016/7/142879049
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;Mehr auch auf:
https://www.zeit.de/news/2016-02/19/gesellschaft-adonis-mit-remarque-friedenspreis-ausgezeichnet-19124802

https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article152319848/Ein-moderner-Islam-ist-nicht-moeglich.html

 

 

Adonis in seiner Dankesrede am 19.2.2016 in Osnabrück
„Ich komme aus einer arabisch-islamischen Welt, deren politische, kulturelle und soziale Tiefenstruktur noch immer von Religion und Stammesdenken geprägt ist – als stünde sie in einem Kontinuum mit der Kultur des Mittelalters“.
Und weiter:
„Sie (die arabischen Intellektuellen) haben aufgehört, ihre Aufgabe als kreative Schöpfer wahrzunehmen und sich zur Vielfalt zu bekennen, sondern sind zu bloßen Sympathisanten, Anhängern und Mitläufern der Politik verkommen.“ ….
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-kultur-an-die-macht-adonis-erhaelt-den-remarque-friedenspreis-14079917.html

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