Adlergarten Wohngruppe – Recht

Die Eichstetter Wohngruppe für Demente und andere kleine Betreuungseinrichtungen fürchten starre Gesetzes-vorgaben. Vor fünf Jahren wurde die Eröffnung der Pflegewohngruppe „Adlergarten“ in Eichstetten als mutiges Beispiel von Bürgerengagement und modellhafte Lösung für eine dezentrale Versorgung dementer und betreuungs-bedürftiger alter Menschen gelobt. Jetzt stehen diese Einrichtung und eine Reihe weiterer Wohngruppenprojekte plötzlich auf der Kippe. Denn das Land plant ein neues Heimrecht, das solche Wohngruppen überfordern und ihren Betrieb unmöglich machen könnte. Verbände und Experten der Pflege drängen darum die Politik, das neue Heimrecht flexibel anzulegen. Eigentlich soll es gar kein Heimrecht mehr geben, denn wer will schon seinen oft von Pflegebedürftigkeit und geistiger Verwirrtheit geprägten Lebensabend in einem Heim fristen? Die Mischung aus Anstalt und Krankenhaus ist vielen Menschen ein Alptraum, sie wollen ein möglichst häusliches Umfeld, auch wenn sie auf Betreuung angewiesen sind. Dem will auch die Politik Rechnung tragen, weshalb das neue Gesetz, an dem im Stuttgarter Sozialministeriums gearbeitet wird, den umständlichen Bandwurmtitel „Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz“ trägt. Doch statt neuen Wohnformen Raum zu geben, droht es ihnen den Boden zu entziehen, weil bisherige typische heimrechtliche Bestimmungen auf sie angewendet werden könnten.


NEUE HEIMRECHTSPLÄNE: Früher gab es ein bundeseinheitliches, recht starres Heimrecht. Im Zuge der Föderalismusreform wurde es 2008 von Landesheimgesetzen abgelöst. Diese regeln unter anderem Flächengrößen von Zimmern, Breite von Türen und Fluren sowie jede Menge weiterer baulicher Details, aber auch hygienische Vorschriften und den Personalschlüssel. So müssen 50 Prozent der eingesetzten Personalstunden von examinierten Fachkräften erbracht werden. All das muss durch die bei den Land- und Stadtkreisen angesiedelten „Untere Heimaufsichtsbehörde“ kontrolliert werden.
Der im April 2008 eröffnete „Adlergarten“ war bisher nicht darunter gefallen, weil er als „selbst organisierte und strukturell unabhängige Wohngemeinschaft“ eingestuft wurde, wie Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) in einem Schreiben an Eichstettens Bürgermeister Michael Bruder erinnert. Dieser Status könne bleiben, auch wenn der Adlergarten mit elf Bewohnern die vom neuen Gesetzentwurf angestrebte Obergrenze von acht Personen überschreitet, ab der das Gesetz gelten soll. Doch ist mit dieser Zusicherung das Thema Heimgesetz für den Adlergarten wirklich ausgestanden? Und wie sieht es mit anderen Einrichtungen aus, wie dem ganz neuen Katharina-Mathis Stift in Merdingen, das im Frühjahr zwei elfköpfige Wohngruppen öffnen will?DAS ADLERGARTEN-MODELL: Der Adlergarten ist ein Kind der Eichstetter Bürgergemeinschaft und ein Modell einer dezentralen Versorgung alter Menschen. Die Gemeinde ist Vermieter, die Angehörigen der elf, wegen ihrer Demenz nicht mehr geschäftsfähigen Bewohner regeln mit der Bürgergemeinschaft das Betreuungs- und Versorgungsprogramm. Dafür sorgen Beschäftigte der Bürgergemeinschaft, ehrenamtliche Helfer und auch Angehörige der Bewohner. Pflegerische Dienste werden ambulant von der Sozialstation nördlicher Breisgau in Anspruch genommen. Damit sind weder die Bürgergemeinschaft (BG) noch die Sozialstation Träger der Einrichtung, sondern werden im Auftrag der Bewohner tätig. Erst in den nächsten Tagen werden deren Angehörige wieder entscheiden, ob sie für ein weiteres Jahr mit BG und Sozialstation als Partnern weitermachen.STREIT UM GRUPPENGRÖSSEN: Die Stuttgarter Reformpläne sehen nun vor, dass nur ambulant betreute Wohngruppen bis acht Personen nicht den neuen Gesetzesregeln unterliegen sollen. Das könnte das Merdinger Katharina-Mathis-Stift betreffen, denn hier ist der Caritasverband fester Vertragspartner, er organisiert den Einsatz der Betreuungskräfte. Auch hier zählen, wie in Eichstetten, engagierte, eigens geschulte Bürger dazu, die sich ehrenamtlich oder als Teilzeitkräfte um die Bewohner kümmern werden. Doch mit der Caritas als festem Partner würde auf das Merdinger Stift nicht die Zusage der Ministerin an den Adlergarten gelten, die diesen als selbst organisierte Wohngemeinschaft einstuft.
Eine Verringerung der Gruppengröße auf acht Personen kommt weder in Merdingen noch in Eichstetten in Frage. „Das ist wirtschaftlich nicht möglich“ erklärt Thomas Szymczak, Leiter der Sozialstation Nördlicher Breisgau. Er, der Experte Professor Thomas Klie von der Freiburger Evangelischen Hochschule sowie weitere Fachleute versuchen derzeit alles, die Regierung zu einer möglichst flexiblen Gesetzesreform zu bewegen. „Wir haben im Adlergarten keine schweren, überbreiten Brandschutztüren, welche die Bewohner selbst gar nicht öffnen können. Wir haben auch keine Handläufe an allen Flurwänden“, erklärt Szymczak. Regeln, die für große Heime gelten, könnten unmöglich auf kleine Wohngruppen angewendet werden. Auch Eichstettens Bürgermeister Michael Bruder sieht hier rote Linien überschritten und macht dies an einem praktischen Beispiel deutlich: „Jetzt kocht die Wohngruppe gemeinsam, wer von den Bewohnern helfen will, macht mit. Mit dem Heimgesetz ginge das nicht mehr – es gäbe nur noch therapeutisches Kartoffelschälen, die Kartoffeln werden danach weggeschmissen.“

HEIME HABEN SICH ÜBERLEBT: Szymczak ist überzeugt, dass die Zeit der Pflegeheime abläuft. Selbst große Einrichtungen würden daran arbeiten, auf Angebote möglichst selbstbestimmter, familiärer Wohngruppen umzusteuern. Als Beispiel nennt er das neue Carolushaus in Freiburg. Diesen Weg, den die Bürger erwarteten, dürfe man nicht bürokratisch abwürgen. „Das können wir uns auch finanziell gar nicht leisten,“ erklärt Szymczak. Für die stetig steigende Zahl alter und betreuungsbedürftiger Menschen könne man gar nicht so viele Heime bauen, wie rechnerisch nötig wären, zumal es dafür kein Pflegepersonal gebe. Er verweist auf Klies Idee des „Pflege Teilens“, bei der Angehörige, Nachbarn und Ehrenamtliche einbezogen werden. Und das gehe in dezentralen Wohngruppen am besten und vor allem am menschenwürdigsten.
24.1.2013, Manfred Frietsch, Eichstetten

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