Kontaktschuld

Home >Kultur >Medien >Diskussionskultur >Demokratie >Kontaktschuld

Am Titisee im Hochschwarzwald 9.8.2020: Blick von Sandbank zum Weiherhof

.

.

Kontaktschuld: Funktion und Wirkung – Beispiel BZ
Kontaktschuld ist eine Technik zur Diskreditierung und medialen Manipulation. Bei dieser Technik wird eine Person (oder Gruppe) diskreditiert, indem eine Verbindung zu einer anderen stigmatisierten Gruppe oder Person angeprangert wird. Der Kontaktschuldvorwurf funktioniert durch die gedankliche Annahme eines Außenstehenden, die mit der Kontaktschuld belegte Person würde zu der stigmatisierten Gruppe “dazu gehören” oder zumindest in einer wohlwollenden Partnerschaft stehen. Es handelt sich dabei um eine sog. Assoziationstäuschung. https://paulschreyer.wordpress.com/2017/01/26/in-eigener-sache-paul-schreyer-ken-jebsen-juergen-elsaesser-compact-und-die-querfront/
Medienforscher Michael Meyen skizziert das Prinzip der Kontaktschuld in einem lesenswerten Interview https://www.planet-interview.de/interviews/michael-meyen/51694/ wie folgt: “Im ersten Schritt identifiziere ich etwas als Gegner. Eine Person, eine Meinung, eine Partei, eine Ideologie. Und im zweiten Schritt ordne ich eine Person diesem gegnerischen Lager zu, mit dem Ziel, dass diese Person, egal was sie sagt, delegitimiert ist.”
Diese Technik ist das Mittel der Wahl, wenn gegen die Person selbst (z.B. durch Bewertung ihrer Aussagen oder Handlungen) kein glaubwürdiges oder beweisbares Stigma konstruiert werden kann. Der Kontaktschuldvorwurf ist insofern auch eine Indirektion, da das Stigma nicht direkt die eigentliche Zielperson belegt, sondern nur indirekt andere Personen oder Gruppen mit denen sie aber in Verbindung gebracht wird.
….
Beispiel aus den Medien (Badische Zeitung BZ)
Als Anschauungsobjekt dient der Bericht einer regionalen Zeitung (BZ) über eine Friedensdemonstration in Freiburg. Nach Polizeiangaben nahmen an dieser Demonstration ca. 850 Personen teil. Die Zählung des Veranstalters ergab 920 Teilnehmer. Laut dem Artikel “bestimmten Peace-Zeichen und Fahnen mit Friedenstauben das Bild”, jedoch sei auch die Fahne der “Freien Sachsen” geschwenkt worden.

   Kontaktschuld-Fahne roter Pfeil

Mit den Fotos des Aufzugs (siehe oben) ist dies belegbar: genau eine Person mit einer solchen Fahne nahm am Aufzug teil – etwa auf Höhe vom Ende des vorderen Drittels. Auffällig im Sinne eines Kontaktschuldvorwurfs ist die Wahl der Überschrift des Abschnitts der beide Aussagen enthält: “Fahne rechtsextremer Kleinstpartei wurde geschwenkt” : (BZ-Text siehe unten). Es ist der einzige Abschnitt mit einer Überschrift und prägt daher das Erscheinungsbild des Artikels. Als Überschrift genutzt, entstellt die Aussage geschickt die Relationen: Ein Leser müßte sie so verstehen, dass die Fahne für die Demonstration charakteristisch war oder eine herausragende Stellung hatte. Dies war aber nicht der Fall, was der Fließtext dann auch korrekt beschreibt. Es stellt sich die Frage: Warum wählt man eine solche offenkundig unpassende Überschrift? Mit dem Verständnis als Kontaktschuldvorwurf klärt sich diese Frage. Das Stigma ist in diesem Fall die “Nazi-Ecke” mit welchem die politische Forderung der Teilnehmer in Verbindung gebracht wird.
… Alles vom 8-3-2023 bitte lesen auf
https://zukunft-fr.de/kontaktschuld-funktion-und-wirkung/
.
Fahne rechtsextremer Kleinstpartei wurde geschwenkt
Beim Demozug durch die Innenstadt bestimmten Peace-Zeichen und Fahnen mit Friedenstauben das Bild, die Veranstalter riefen dazu auf, keine Nationalflaggen mitzuführen, diese stünden für Krieg: „Wir sind nicht für Russland, wir sind nicht für die Ukraine, wir sind für den Frieden.“ Die allermeisten Teilnehmer hielten sich daran, doch auch eine Deutschlandfahne und eine der rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen“ wurden auf dem Demozug geschwenkt. Eine kleine Gegendemo hielt Plakate hoch: „Heuchlerische Schwurblerhorde verteidigt Putins Massenmorde!“
… Alles vom 4,3,2023 bitte lesen auf
https://www.badische-zeitung.de/800-menschen-in-freiburg-demonstrieren-gegen-waffenlieferung-an-die-ukraine–246452669.html

 

Kontaktschuld-Prinzip zerstört die Diskussionskultur
Das Kontaktschuld-Prinzip gab es schon immer in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung: Man diskreditiert einen Menschen mit dem Vorwurf, er habe mit der falschen Person gesprochen, sein Buch im falschen Verlag publiziert, die falsche Veranstaltung besucht, usw. – also ein Link zu etwas Falschem. Und wie im Internet gibt es auch im politischen Streit zum Link den Backlink: Ein Mensch wurde von der falschen Person als Bekannter, Partner bzw. Freund genannt.
Das Falsche gilt als Gegner. Der Haken: Was ‚falsch‘ ist (eine Person, Meinung, Ideologie bzw. Partei), definiert derjenige, der den Schuldvorwurf äußert und zwecks Diskriminierung in die Öffentlichkeit trägt. Die Demokratie lebt von der Diskussion mit dem offenen und ehrlichen Austausch von Argumenten, wobei das Abwägen von Meinungen im heftigen Dialog und auch Streit geführt werden kann und muß. Der Kontaktschuld-Vorwurf zerstört die Diskussionskultur bzw. Streitkultur und damit die Demokratie. Denn er schließt Menschen bzw. deren Meinungen aus dem zu führenden Dialog als falsch aus. Der mündige Bürger kann aber selbst darüber befinden, was nun ‚richtig‘ (gut) oder ‚falsch‘ (böse) ist.
Kontaktschuld ist ein politisches erprobtes Kampfinstrument totalitärer Systeme. Wer in der DDR Westkontakte hatte, wurde vor Gericht angeklagt – Boykotthetze.
Als Ableger der Political Correctness bedient sich auch die Cancel Culture, durch die Personen, Organisationen oder Medien boykottiert werden, gerne des Kontaktschuld-Vorwurfs.
Der Kontaktschuld-Vorwurf wird in Chats, Blogs, Info-Plattformen verwendet: Jeder Kommentar, steht nun nicht mehr nur für denjenigen, der gepostet hat, sondern wird mit dem Blogbetreiber zugeordnet.

Drei Beispiele:
1) Die Schriftstellerin Monika Maron wurde Mitte November 2020 von ihrem langjährigen Verlag S.Fischer gekündigt. Der Vorwurf betrifft nicht den Inhalt ihres neuen Buches, sondern die Tatsache, daß sie dieses beim falschen Verlag herausbringt, dem Verlag „edition buchhaus loschwitz“ von Susanne Dagens in Dresden.
2) Der Fußballspieler Mesut Özil ließ sich mit dem türkischen Präsidenten Erdogan photografieren. Der Kontaktschuld-Vorwurf bewirkte schließlich den Rückzug aus der deutschen Nationalmannschaft.
3) Dem Leiter der hessischen Filmförderung (Jahresetat 11,4 Mio Euro), Hans Joachim Mendig, wird wegen eines von ihm als privat bezeichneten Treffen mit AfD-Chef Meuthen am 23.9.2019 gekündigt. Siehe Beitrag unten.

 

Kabarettistin Lisa Eckhart: Bedrohung von innen
Die für den „Debütantensalon“ vorgesehene Lokalität, der „Nochtspeicher“, hatte der Leitung des Harbour Front Literaturfestivals nach dessen Darstellung von Drohungen berichtet, die es gegen die ursprünglich für den 14. September vorgesehene Lesung von Lisa Eckhart, bei der sie aus ihrem Roman „Omama“ vortragen sollte, gebe. Es wurde befürchtet, dass die Veranstaltung, wie etwa bei einer Lesung des Journalisten Harald Martenstein geschehen, von linken Störern gesprengt werden könnte. Daraufhin hatte das Festival Lisa Eckhart zunächst gebeten, sich von sich aus zurückzuziehen, und ihr dann, als sie dies ablehnte, die Ausladung ausgesprochen. „Wir weichen der Gewalt, aber es gibt auch keinen eleganten Weg, der Gewalt nicht zu weichen“, hatte der Festivalleiter, der Verleger Nikolaus Hansen, dieser Zeitung gesagt.
Die Betreiber des „Nochtspeichers“, die für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen waren, veröffentlichten dann eine Erklärung, in der es hieß, man begrüße, „dass die Ausladung Lisa Eckharts vom Harbour Front Literaturfestival zu einer öffentlichen Debatte führt, diese gesellschaftliche Debatte ist überaus wichtig, um der bedrohlich um sich greifenden ,Cancel Culture‘ Einhalt zu gebieten“. Es sei „alarmierend, wenn Künstler unter dem Damoklesschwert der sozialen Ächtung arbeiten oder sogar eine ,Kontaktschuld‘ durch einen gemeinsamen Auftritt mit einer unliebsamen Person befürchten müssen; wenn Auftritte gesprengt oder gewaltsam verhindert werden“. Diese Erfahrung habe man schon 2016 bei der Lesung mit Harald Martenstein machen müssen. Seither sei „das ,Deplatforming‘ bekanntlich fortgeschritten und die Atmosphäre aggressiver geworden.
… Alles vom 10.8.2020 bitte lesen auf
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/lisa-eckhart-nimmt-nicht-am-harbour-front-literaturfestival-teil-16898727-p2.html
.

Kontaktschuld: Damit ist jedes Ihrer Argumente wertlos
Das Prinzip Kontaktschuld ist beliebt, vor allem bei Diskussionen im Netz: Man diskreditiert eine Person allein dadurch, dass sie auf der ‚falschen‘ Demo war, mit der ‚falschen‘ Person gesprochen oder gar Geburtstag gefeiert hat. Analysiert wurde das Prinzip bislang kaum, was daher an dieser Stelle versucht werden soll. Ein Interview mit Medienforscher Michael Meyen über Meinungspluralismus, Radikalenerlass, den Umgang mit Rassisten und warum Twitter für Kontaktschuldvorwürfe die ideale Plattform ist.

Kontaktschuld-Vorwürfe tauchen heute vor allem bei Debatten im Netz häufig auf. Was bewirkt der Vorwurf?
Meyen: Der Kontaktschuld-Vorwurf bewirkt, dass Sie einen Menschen in die Isolation treiben und ihn in jeder Debatte unmöglich machen. Mit dem Kontaktschuld-Vorwurf ist man als Person nicht mehr satisfaktionsfähiger Teil irgendeines Diskurses.
Besonders auf Twitter sind Kontaktschuld-Vorwürfe an der Tagesordnung …
Meyen: Das ist verständlich, da Twitter nur wenige Zeichen erlaubt. Damit wird es schwer, sich mit Argumenten zu Wort zu melden bzw. sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Eine Kontaktschuld herzustellen, sprich jemanden einem bestimmten Lager zuzuordnen und ihn damit zu diskreditieren, das ist auf Twitter schnell gemacht. Für gut und böse braucht es nicht viele Zeichen.
Wie kann ich mich dagegen zur Wehr setzen?
Meyen: Das ist schwierig. Nehmen wir das Beispiel Reinhold Beckmann, der vor etwas mehr als einem Jahr auf dem 65. Geburtstag von Matthias Matussek war, bei einem alten Freund. Auf der Party waren aber auch Menschen, die der AfD nahestehen, die für die Junge Freiheit arbeiten oder zur Identitären Bewegung gehören. Am nächsten Tag hat Beckmann sich öffentlich von sich selbst distanziert. Dies war für ihn offenbar der einzige Weg, seine Reputation zu retten.
Es braucht also eine öffentliche Distanzierung?
Meyen: Mit dem Kontaktschuld-Vorwurf werden Sie ausgeschlossen aus dem Kreis der legitimen Sprecher, weil man sofort sagen kann: Sie haben Kontakt zu einer Person oder zu einer Position, die zum Gegner erklärt worden ist. Damit ist jedes Ihrer Argumente wertlos. Wenn Sie wieder Teil des Diskurses werden wollen, als legitimer Sprecher, dann scheint es diesen öffentlichen Kotau zu brauchen.
… Alles vom 14.7.2020 bitte lesen auf
http://www.planet-interview.de/interviews/michael-meyen/51694/
.
Michael Meyen ist Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München
.

Nach Treffen mit Meuthen: Geschäftsführer der hessischen Filmförderung muss Posten räumen
Die Zusammenarbeit mit Hans Joachim Mendig als Geschäftsführer der Hessen Film und Medien GmbH ist beendet. Wie die hessische Kunstministerin Angela Dorn mitteilte, hat der Aufsichtsrat bei seiner außerordentlichen Sitzung dies einstimmig beschlossen. Grund für die Sitzung war die Ankündigung vieler Filmschaffender, nicht mehr mit der Hessen Film und Medien zusammenarbeiten zu wollen, die Rücktritte von Jury-Mitgliedern und einen möglichen Imageschaden für das Land und die Filmförderung zu sprechen. Seitdem über ein Instagram-Foto des AfD-Bundessprechers Jörg Meuthen ein Treffen Mendigs mit Meuthen und dem Frankfurter PR-Berater Moritz Hunzinger im Juli bekannt geworden war, hatten in den vergangenen Tagen zahlreiche Filmschaffende eine Erklärung, später den Rücktritt Mendigs gefordert. Dieser hat sich öffentlich nie zu dem Treffen geäußert. Gegenüber Dorn erklärte Mendig, das Treffen sei eine „private“ Angelegenheit gewesen.
… Alles vom 24.9.2019 bitte lesen auf
https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/chef-der-hessischen-filmfoerderung-muss-posten-raeumen-16401009.html

Stellungnahme zum ‚Fall Mendig‘ von Dazu Martin E. Renner, medienpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion:
„Wenn eine private Unterredung mit einem AfD-Politiker die berufliche Existenz gefährdet, dann ist dies ein handfester Skandal.“
Zur Erklärung von über 600 Filmschaffende gegen Mendig: „Letztlich belegt – und das ist hier bedeutsamer – diese Ungeheuerlichkeit den von der AfD erhobenen Vorwurf, dass die Kunst- und Kulturszene eben nicht frei und unbefangen, sondern im Gegenteil einseitig ideologisch agiert und offenkundig ein aggressives Sendungsbewusstsein im Sinne einer Erziehung zur ‚richtigen‘ Gesinnung entwickelt. Ist es in Deutschland wieder soweit, dass eine ‚Kontaktschuld‘ statuiert und ein Boykottaufruf von Filmschaffenden zur Vernichtung einer bisher unbescholtenen bürgerlichen Existenz führt?“