Barmer Arzneimittelreport 2012 – Psychopharmaka sind „Frauenarzneimittel“

Warum gibt es so große Geschlechterunterschiede in der Arzneimittelversorgung? Frauen bekommen etwa zwei- bis dreimal mehr Psychopharmaka als Männer. Erklären Rollenklischees oder häufigere Migräneattacken die hohe Verordnungsrate? Frauen, so der Report, bekommen mehr Arzneimittel verordnet: Auf 100 Frauen entfielen durchschnittlich 937 Verordnungen im Jahr. Damit liegen sie 22,3 Prozent über den Männern, die je 100 auf 763 Verordnungen kamen (Durchschnitt: 864). Bei den Arzneimittelkosten liegen die Geschlechter näher beieinander: Auf 100 Männer entfielen im letzten Jahr 41.100 Euro, auf 100 Frauen 44.900 Euro (+9,3 Prozent).
www.barmer-gek.de 

 Antidepressiva machen nicht abhängig

In dem Artikel über das Risiko Tablettensucht ( https://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/arzneimittelreport-risiko-tablettensucht-ist-bei-frauen-besonders-hoch–61061729.html )steckt ein unverzeihlicher Fehler. Sowohl in der Grafik zum Artikel wie im zweiten Satz des Haupttextes werden Antidepressiva in völlig unverantwortlicher Weise mit dem Thema Tablettensucht in Verbindung gebracht. Es braucht nur eine kurze Recherche, um herauszufinden, dass in Deutschland viele Depressive keine angemessene Behandlung bekommen und immer noch Stigmatisierung und Vorurteilen ausgesetzt sind. Als persönlich Betroffener kann ich ihnen von geradezu traumatisierenden Erlebnissen berichten. Bitte stellen Sie diesen Sachverhalt sofort richtig: Antidepressiva machen weder abhängig noch führen sie zu Veränderungen der Persönlichkeit. Auch dass Menschen Antidepressiva verordnet bekommen, bei denen gar keine Depression diagnostiziert wurde, lässt sich selbst mit wenigen Spezialkenntnissen erklären. Man muss nur die aktuellen Entwicklungen in anderen Bereichen wie der Schmerztherapie oder der Palliativmedizin anschauen.
Ulrich Wezel, Weisweil, 28.6.2012

Sehr geehrter Herr Wezel, vielen Dank für Ihren Hinweis, auch andere Betroffene haben sich in dieser Hinsicht an die BZ gewandt, und wir müssen zugeben: Sie haben Recht, der angesprochene Text kann wirklich eine gefährliche Verwirrung auslösen. Antidepressiva machen tatsächlich nicht abhängig und verändern auch nicht die Persönlichkeit. Im Gegenteil, sie haben vielen Patienten schon das Leben gerettet, in denen sie ihnen – in der Regel in Kombination mit anderen Therapieverfahren – aus ihrer erdrückenden Depression heraushalfen. Es stimmt auch, dass sie bei immer mehr Indikationen zum Einsatz kommen, zum Beispiel als unterstützende Mittel in der Schmerztherapie. Tranquilizer und Schlafmittel vom Benzodiazepin-Typ wie Valium sind dagegen kritischer zu betrachten. Sie mögen manchem beim Einschlafen und Beruhigen helfen, längerfristig eingenommen, können sie aber eine starke Abhängigkeit hervorrufen. Und gerade bei diesen Mitteln ist ein starker Missbrauch zu beobachten. Auch der von uns angeschriebene Autor der Studie, der Bremer Pharmakologe und Gesundheitsforscher Gerd Glaeske, betonte auf unsere Nachfrage: „Es muss in der Tat ein Unterschied zwischen den Antidepressiva gemacht werden, die nicht zu einer Abhängigkeit führen, bei denen es aber nach längerer Zeit zu Absetzproblemen kommen kann, daher sollte die eingenommene Dosierung langsam verringert werden. Bei den Tranquilizern und Schlafmitteln vom Benzodiazepin-Typ (Valium, Adumbran, Tavor, Remestan usw.) kommt es dagegen nach zwei bis drei Monaten der kontinuierlichen Einnahme zur Abhängigkeit, beim Absetzen kommt es zu Entzugserscheinungen.“ Insofern können wir Ihnen nur Recht geben und für den wichtigen Leserbrief danken.
Michael Brendler, Redakteur Medizin, 29.6.2012

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