Kompromiss-Grenze im Osten

Eine unsichtbare Grenze verläuft im Osten Europas durch die Ukraine nach Griechenland und weiter im Süden vom Irak bis Gibraltar und trennt laizistische Demokratien von eher vormodern-religiösen Gesellschaften. Diese Grenze hat auch eine religiöse Basis: Katholiken und Protestanten auf der einen sowie russisch und griechisch Orthodoxe, Juden und Muslime auf der anderen Seite.
Im Osten sind Werte wie Ehre, Stolz und Würde religiös geprägt und von zentraler Bedeutung, zudem hat man Zeit, viel Zeit: „Wenn nicht heute, dann morgen“ versus Zeitmangel als Stressfaktor. Im Westen haben sich beiden christl. Konfessionen mit der Demokratie arrangiert (Aufklärung, Laizismus).

Diese Grenzlinie zeigt sich am deutlichsten in der Frage der Lösung von Problemen. Ein Konflikt kann a) bis zum Sieg (Schiiten-Sunniten; aber unrealistisch, da Kriege nur Verlierer kennen), b) bis zum Kompromiß (Demokratie) oder c) bis zur Ermüdung bzw. Erschöpfung (Dreißigjähriger Krieg, Syrien, Schiiten-Sunniten) geführt werden. Warum haben die vielen westlichen Vorschläge zur Lösung der Konflikte in Ukraine, Griechenland, Irak, Syrien, Palästina, Libanon, Lybien, Nahost … nicht gefruchtet? Weil der Kompromiß als Regel zur Problembewältigung jenseits der „Grenze der Mentalitäten“ nicht anerkannt wird.
Wenn Tsipras an die Souveränität und den Stolz der Griechen apelliert, dann ist ihm dies keine bloße Demagogie, sondern bitter ernst. Die Sparprogramme bietet die EU als Kompromiß an, für die Griechen sind sie ein taktisches Mittel zum Zeitgewinn. In den vielen Krisenjahren seit 1945 haben die Griechen gelernt , Chaos und Korruption in Geduld zu erleiden und zu ertragen. Man hat Zeit und erkauft sich seit fünf Jahren noch mehr Zeit durch immer neue Reformversprechungen, die nicht umgesetzt werden.
In Aghanistan ist die von der Nato betriebene Demokratisierung der Stammes- bzz. Clangesellschaft gescheitert.
Im Irak brach der uralte Konflikt zwischen Schia und Sunna nach dem Sturz Saddam Husseins sofort und umso heftiger aus.
Jerusalem und Ramallah scheinen keinen Frieden zu wollen aus Furcht, ein Kompromiß könne die eigenen Interessen verletzen.
Der Krieg in Syrien wird wahrscheinlich erst enden, wenn das Land total zerstört und alle Seiten erschöpft und müde sind.
Alle diese Konflikte im Osten dauern lange an, mal ebben sie ab, um dann wieder neu zu entflammen. Den Menschen geht es ums alltägliche Überleben – an die große Lösung ist aus ideologischen und religiösen Gründen nicht zu denken. EU und USA sollten endlich einsehen, dass eine Befriedung und Problemlösung mittels Kompromiß als Regel zur Konfliktbewältigung im Osten und Südosten nicht funktioniert. Denn ein Geben und Nehmen sowie der Verzicht auf Maximalforderungen gelten als Niederlage und wird abgelehnt.
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Aufklärung im Westen: Hegel’s Dreierschritt „These, Antithese und Synthese“ und Kant’s Appel an Verstand und Vernunft machen an der imaginären Grenzlinie von Russland bis Marokko halt. Nur wenige Muslime glauben an einen ‚aufgeklärten‘ Reform-Islam.
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Zyklisches Weltbild im Osten: Die großen griechischen Philosophen wie Aristoteles und Platon zeichneten zwei Weltbilder – das zyklische Weltbild (Geschichte wiederholt sich, ohne viel Änderung) und das teleologische Weltbild (Fortschritt prägt die Geschichte, da allem Tun ein eigenes Ziel innewohnt). Es scheint, dass das Lebensempfinden der Völker im Osten und Süden dahin geht, dass sich alles im Kreise bewegt.
27.7.2015

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