Mit Rolli und Rollator durch Littenweiler. Ist ein selbstständiges Leben ohne fremde Hilfe möglich? Nicht nur durch das Wohnheim der AWO, die umliegenden Seniorenanlagen Kreuzsteinäcker, Laubenhof oder das Stahlbad entsteht der Bedarf an barrierefreien Einrichtungen, auch für die übrige Bevölkerung wird die Frage immer wichtiger, wie es möglich ist und sein wird, trotz Gehbehinderung, Rollstuhl oder Krücken mobil zu bleiben.
Auf den ersten Blick scheint es in Littenweiler noch gut auszusehen, aber der Schein trügt. Es geht nicht nur um ein Leben im Alter, es geht darum den Stadtteil so zu gestalten, dass auch jüngere Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind, ihre alltäglichen Dinge selbst erledigen können. Es geht darum, so lange wie möglich selbstständig zu bleiben, alleine zum Einkaufen, zum Frisör, zur Bank und zum Arzt zu kommen. Auch Jugendliche, z.B. mit einem Gips am Bein, merken wie hilfreich ein barrierefrei angelegter Stadtteil sein kann. Anja Lusch hat sich umgeschaut, wo man bequem mit Rollstuhl und Rollator unterwegs sein kann.
Anforderungen des Gesetzgebers
Barrierefreiheit bedeutet etwas weniger Aufwand, als behindertengerecht zu sein. Nach §35 der Landesbauordnung müssen in Wohngebäuden mit mehr als vier Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein. Nach §39 müssen Anlagen für Kinder, Ältere und Behinderte, Öffentliche Gebäude aber auch Geschäfte, Banken, Kirchen, Museen, Büros, Gaststätten und Arztpraxen barrierefrei sein. Dabei kommen die Einrichtungen rund um die Lassbergstraße gut weg. Aber wie sieht es bei den älteren Häusern aus? Die Einrichtungen sollten zwar möglichst nachrüsten, aber das Gesetz lässt hier Spielraum, wenn die Kosten zu hoch wären. Wir haben die PH und die Reinhold-Schneider Schule um eine offizielle Stellungnahme gebeten, welche Teile der Gebäude gut zu erreichen sind. Rollstuhlfahrer brauchen eine Türbreite von 90 cm und haben einen Wendekreis von 150 cm, Rollatoren und Kinderwägen haben eine Breite von 80 cm. Gehwege müssen eine Breite von 150 cm haben.
Zur Barrierefreiheit der PH äußert sich Helga Epp, Pressestelle der PH
Einige Kollegiengebäude (KG 5, KG 4, KG 3) sind mit einem Aufzug ausgestattet und alle Bereiche gut erreichbar. In die Mensa kommt man über das Institut der Künste mit einem Treppenlift, in den Großen Hörsaal über die Bibliothek oder über die Höllentalstraße. Von dort gelangt man ebenerdig zum Hörsaal. Die PH ist immer bemüht zu helfen. Wenn jemand auf diesem Weg hinein möchte, wird aufgeschlossen. Im KG 6, KG 7 sind keine Personenaufzüge vorhanden. Wichtige Lehrräume sind dort zwar zu erreichen, aber beispielsweise nicht die Toiletten. Hierfür muss das WC in der Bibliothek aufgesucht werden. Das bedeutet längere Wege. Auch das KG 2 (Verwaltungsgebäude) hat keinen Personenaufzug. Dort machen sich bei Bedarf die Sachbearbeiterinnen auf den Weg ins EG, trotzdem ist das eine unbefriedigende Situation. Bei baulichen Maßnahmen und Änderungen hat die Hochschule keine Autonomie. Über diesbezügliche Maßnahmen entscheidet der Landesbetrieb Vermögen und Bau Stuttgart/ Finanzministerium. Die Hochschule stellt regelmäßig Anträge, behindertengerechte bauliche Maßnahmen, z.B. Personenaufzug im KG 2, in die Jahresbaupläne aufzunehmen. Bei Neubauten wird natürlich die Barrierefreiheit überall mitbedacht. Zur Barrierefreiheit der Reinhold-Schneider Schule, sagt Rektorin Susanne Nagel-Jung: Im Erdgeschoss ist die Schule jetzt ganz und gar rollstuhltauglich, sowohl die Eingangstür als auch das WC. Nach oben und unten gibt es allerdings nur Treppen. Wenn die Renovierung nach oben weitergeführt wird, sollte ein Aufzug eingebaut werden. Wann das sein wird, ist noch nicht klar. Derzeit gibt es niemanden im Kollegium und auch keine Schüler, die Barrierefreiheit benötigen.
Mit Rolli und Rollator auf Probefahrt
Um den Stadtteil auf Stufen und Kanten zu prüfen, hätten wir uns eigentlich selbst in den Rollstuhl setzen müssen, um zu erfahren, wie das geht. Ohne Übung für eine Anfängerin unmöglich. Zum Glück haben sich jedoch Freiwillige zur Begleitung gefunden.
Mit dem Rollator vom Stahlbad durch den Ort: Helene Sittkus ist mit ihren 91 Jahren schon seit vielen Jahren auf die Gehhilfe angewiesen. Sie wohnt schon seit langem in Littenweiler. Mittlerweile ist sie von der Höllentalstraße ins Stahlbad gezogen, um in ihrer bekannten Umgebung zu bleiben. Sie ist immer noch gerne unterwegs, hat aber mit ihrem Rollator immer wieder mit ungeschnittenen Hecken, engen Gehwegen und schlechtem Straßenbelag zu kämpfen. Wir waren zunächst in der Sickingenstraße unterwegs, der Gehweg ist so schon sehr schmal, wenn dann noch Autos am Straßenrand parken, kommt sie nicht mehr durch. Aber auch in der Waldhofstraße oder in der Römerstraße sieht es ähnlich aus. Der kleine Bahnübergang in der Ebneter Straße ist für Helene Sittkus schwierig zu begehen. Im Jahr 2006 hatte sie sich schon einmal in einem Brief an das Tiefbauamt gewandt, im Anschluss wurde damals ein Stück saniert. Auf Hinweis der Freiburger AG „Miteinander Leben“ (FAG) hatte sich die grüne Fraktion Ende Januar an die Freiburger Stadtverwaltung gewandt. Der Zugang zum Bahnsteig ist immerhin jetzt endlich nach jahrelangem Schotter und Matsch frisch geteert, bleibt aber doch recht schmal. Und der Überweg über die Bahn bleibt weiterhin zu schmal für die morgendlichen Schülermassen. Gelegentlich fährt Helene Sittkus noch in die Stadt. „Mit der Straßenbahn geht es jetzt gut, aber es ist schwierig in den Bus zu kommen, ich brauche jedes Mal Hilfe. Es findet sich jedoch meistens jemand. Man muss sich viel bedanken bei den anderen Menschen, die einem dann helfen.“ Zurück am Stahlbad kämpft sie mit der steilen Auffahrt und dem schrägen Gehweg, aber das liegt am Berg und daran lässt sich wenig ändern.
Ein Leben im Rollstuhl – trotzdem selbstbestimmt und frei?
Wie ist das, wenn man nicht laufen kann, sondern nur fahren? Wie ist der Blick aus Kinderhöhe, wenn man anderen Menschen auf den Bauchnabel schaut und wie kann man möglichst viele Dinge noch selbst erledigen? Justina, 38 Jahre, lebt seit zwei Jahren im AWO in Littenweiler, einem Wohnheim für 26 körperbehinderte Erwachsene. Michael, 38 Jahre, ist schon seit 13 Jahren hier. Wir starten unseren Rundgang vom Haus in der Heinrich-Heine Straße, direkt neben der Tankstelle. Die Lage in der Nähe der Lassbergstraße ist gut. Grundsätzlich sind die neu gebauten Einrichtungen und Ladengeschäfte rund um die Endhaltestelle Lassbergstraße gut zu befahren, eine Ausnahme bilden die Augenarzt- und die Zahnarztpraxis im Turm, bei der Arztpraxis Dr. Rupp endet der Aufzug, dann gibt es nur noch Treppen. Aber Friseur Emotion, Sparkasse, Volksbank, BB-Bank, Optik Schwär, Die Flocke, Reisebüro Winterhalter, und Café Ambrosia sind gut befahrbar, ebenso die Praxis für Physiotherapie Astrid Boch, das Lebensmittelgeschäft Donay und die Reinigung nebenan.
Die Bäckerei Heizmann an der Endhaltestelle hat jedoch eine Stufe. Die Angestellten bedienen die Rollifahrer dann vor der Tür. Am Bahnhof Littenweiler ist die Bäckerei Heizmann barrierefrei zugänglich, aber der Weg dorthin ist schwierig. Der Gehweg entlang der Lindenmattenstraße zwischen Endhaltestelle und Bahnhof ist auf beiden Seiten stark beschädigt. Die Fahrt mit dem Rollstuhl gleicht einem Slalomlauf um die Schlaglöcher. Michael fährt sehr langsam, obwohl er einen guten Rollstuhl hat und schimpft zwischendurch immer wieder über den Belag, der dringend ausgebessert werden müsste. Die St. Barbara Apotheke ist gut zugänglich, eine Bank steht bereit für Kunden, die sich ausruhen wollen. Auch das Reformhaus/Postagentur Büstrich ist befahrbar. In die Gaststätte Lindenmatte geht es nur über eine Stufe, das ist ohne Hilfe nicht machbar.
Weiter geht es durch den Ort. Die Pizza Box hat Stufen, im Notfall kann man durch den Seiteneingang fahren. Stufen hat auch die Ouzeria. Der Schreibwarenladen, Friseur New Hair und das Elektrogeschäft Löffler in der Littenweilerstraße sind nicht befahrbar. Besser wird es erst wieder am Friedhof, die Einsegnungshalle ist rollitauglich, das Café Bergäcker, Bildhauer Storr und Horizonte Bestattungen und die Buchhandlung Vogel. Die Belletristik liegt oben, Pädagogik und Kinderbücher bringen die Mitarbeiter/innen gerne nach oben.
Weiter geht es zum Ortskern, dort sind die Buchhandlung Hall gut zugänglich, das war Inhaberin Ingeburg Hall auch wichtig bei der Auswahl des Ladengeschäftes, gleiches gilt für Hörakustik Burghard. Die leerstehende Apotheke wäre theoretisch auch gut zugänglich. Der Bus hält in der Nähe. Das Gemeindeheim St. Barbara ist mittlerweile durch den Aufzug auch oben erreichbar, die Kirche ist theoretisch befahrbar, hat aber eine kleine Schwelle und die Türen gehen schwer auf. „Ich gehe nur mit Begleitung in die Kirche, die Türen bekomme ich nicht alleine auf“, meint Justina.
Weiter oben in Littenweiler, in der Alemannenstraße passt der Rolli sogar in den Schreibwaren Berny. Klaus Feger hat zu, aber wenn wir wollten, wären wir auch dort reingekommen. Auf dem Weg lagen einige Arztpraxen, die nur über Stufen zu erreichen sind, zum Beispiel Zahnarzt Nevely, Dr. Pohle, Dr. Schweizer, die Liste kann hier nicht vollständig sein, vielleicht gibt es auch irgendwo einen Hintereingang oder Lastenaufzug, aber auf den ersten Blick war das nicht zu sehen, kein Schild an der Tür weist darauf hin.
Weiter geht es zur Littenweiler Apotheke, die sehr geräumig ist, man kann prima mit dem Rolli durch den ganzen Laden fahren, alles anschauen und sogar wenden. Draußen steht eine Bank für mich zum Ausruhen, denn seit einer Stunde laufe ich einem elektrischen Rollstuhl hinterher (bis zu 6 km/h).
Zurück geht’s über den schmalen Ebneter Weg, weiter zum Treff, dort die Rampe hoch, steil (auch für nicht Gehbehinderte mit vollgepacktem Einkaufswagen schwierig), aber es geht gerade so und dann in den Laden. „In vielen Geschäften wird es eng an der Kasse, vor allem wenn noch andere Sachen im Weg stehen“, sagt Justina. Aber wir kommen gerade so durch.
Justina will weiter und testet die Rampe an der evangelischen Kirche, sie findet sie tauglich. In die unteren Räume kommt man außen herum, das testen wir nicht, aber es ist möglich, die Zufahrt ist beschildert. Die Polizeistation hat Stufen, noch eine Krankengymnastikpraxis und dann endet die Rundfahrt schon, es wird langsam dunkel. Mit Begleitung ist viel mehr möglich, doch die Zeit der Betreuer ist begrenzt. „Wenn ich alleine einkaufen gehe, dann fahre ich immer ins ZO, da brauche ich keine Hilfe“, erklärt sie noch. Mit dem Bus fährt sie in Littenweiler nicht. „Wenn ich weitere Fahrten mit dem Zug machen will ist das umständlicher, man muss das vorher anmelden.“ Tagsüber arbeitet sie in einer Caritas-Werkstätte und abends bleibt sie oft im Stadtteil. Aber der ist leider noch nicht barrierefreundlich genug, sodass der Radius klein bleibt und die Selbstständigkeit eingeschränkt wird.
Wie in einer vorigen Ausgabe des Littenweiler Dorfblattes berichtet, gibt es den Freiburger Stadtführer vom Verein „Freiburg für alle“ der sich aber hauptsächlich auf die Innenstadt bezieht. www.freiburg-fuer-alle.de. Rollstuhlgerechte Geschäfte über den Innenstadtbereich hinaus findet man auf www.wheelmap.org. Und wer sich engagieren will kann das im Beirat für Menschen mit Behinderung tun www.behindertenbeirat-freiburg.de.
31.8.2014, Anja Lusch, Littenweiler Dorfblatt