Westbank – Ausnahmezustand

Reisebericht von der palästinensischen Westbank (Westjordanland), wo Menschen fast alles genommen und wo dennoch von „Brücken statt Mauern“ geträumt wird. Die Ehepaare Ingrid und Michael Gugel sowie Annegret und Helmut Zeilinger sind vom 3.-17.10.2013 der nachdrücklichen Bitte palästinensischer Christen gefolgt („Kommt und seht!“) und haben vorort 7 Tage lang an einem politischen Seminar teilgenommen. Sie sind über Wege und durch Orte gekommen, denen Israel-Touristen so gut wie nie begegnen: Al’Aqaba im oberen Jordantal, Anata, Azarya, Beit Jala, Beit Sahour, Bethlehem, Birzeit, Burqin, Gegend südlich von Hebron, Jenin, Jericho, Nablus, Ni’lin, Qalqilya, Tulkarm. Dabei sind sie Christen, Juden und Muslimen in Israel und Palästina begegnet, Menschen auf dem Land, in Städten, in Rathäusern, in zerstörten Häusern, in verschiedenen Projekten, Menschen im Widerstand gegen die Mauer, Israelis im Protest gegen die Besatzung und unterwegs zum Schutz von Bedrohten.  Sie erzählen von ihren Erlebnissen, Eindrücken und Folgerungen am
Dienstag, 26. November 13, 19.30 Uhr
Gemeindesaal neben der Friedenskirche
Hirzbergst. 1, 79102 Freiburg, Tel 0761-50361580
www.friedenskirche-freiburg.de  
Eintritt frei – Spende erbeten
zeilinger-freiburg@freenet.de , m.gugel@gmx.de

 

 

Resumee des Reiseberichtes vom 26.11.2013

0) Geschichte Palästina und Israel (Herr Gugel)
Ein Land für ein Volk – ein Volk ohne Land. 1. Weltkrieg. Osmanisches Reich – Briten. 1949 Green Line. 1967 Sechs-Tage-Krieg. 1970 Rückgabe Sinai. 1990 Einigungsversuche. 1993 Arafat erkennt Israel an, Palästinenserstaat. Westbank nach Oslo: Zinsen A, B und C. 2000-2003 Siedlungsbau in Westbank Karten/Maps der OCHA: https://reliefweb.int/map/israel/israel-location-map-2012
https://www.unocha.org/where-we-work/occupied-palestinian-territory
    
1) Mauer und Verlust der Bewegungsfreiheit (Herr Gugel)
Beispiel Qalkilya: Stadt in der Westbank mit Mauern umgeben. Bauern von Feldern getrennt. Landwirtschaftlicher Gate. Das Grab der Rahel nahe Check-Point zwischen Jerusalem und Bethlehem ist eingemauert. 
  
2) Fortgesetzte Landnahme (Herr Zeilinger)
Landnahme = Enteignung. Mauer wurde nicht entlang der Green Line gebaut. Sharon-Haus in Jerusalemer Altstadt – Immobilienkäufe. Nicht kultiviertes Land fällt nach bestimmter Zeit an den Staat. Zwangsumsiedlungen von Beduinen im Negev. “Jüdischer Nationalfonds” als Siedlungsorganisation. Israelische Initiative verteidigt Beduinen gegen Siedler. 
  
3) Entzug des Wassers (Frau Gugel)
Brunnen sind genehmigungspflichtig. Grundwasserspiegel um 10 m gesunken. Bild: Links grün Kibbutz, rechts gelb palästinensische Landwirtschaft. 300000 Menschen in Zone C leiden an Wassermangel. Wasserverbrauch: 300 l/Tag Israeli, 70 l/Tag Palästinenser, 20-30 l/Tag Beduine Negev. Zerstörung schwarz gegrabener Brunnen. Schleichende Vertreibung durch Wasserentzug.
   
4) Behinderung der Lebens- und Gestaltungsmöglichkeiten (Frau Zeilinger)
4.1) Wirtschaft: Mauer trennt Landwirt von seinem Land. Olivenhaine umfassen 80% der Fläche. FairTrade-Center in Jenin. Frauen-Kooperative von Beduinen in Anata? Hotels in Bethlehem stehen leer. Homepage von Sireen Kundairy.

4.2) Bildung (Herr Gugel)
Theater in Jenin “Freedom Theatre”. Aufführung “Lost Land” – liegt eher in uns selbst und nicht im Land. www.jordanvalleysolidarity.com . Projekt Handwerk+Schule+Manufaktur. Al Akaba (Rollstuhl). Moschee mit zwei Türmen.
   
5) Politisch-rechtliche Situation (Herr Zeilinger)
Besatzung in der Westbank. Militärgebiet – kein Anwalt zuständig. Israel betreibt nicht nur gezielt Gebietserweiterungen, sondern ethnische Säuberungen. Busse “nur für Palästinenser”.
Israel ist die einzige Demokratie in Nahost.
   
6) Reaktionen
Verbreitete Depression. “Raus aus der Opferrolle”. Führung durch Nablus: Die nächste Intifada kommt. Das  Schlüssel-Symbol überall, auch als Graffiti. In Jenin wöchentliche gewaltfreie Demos. Gandhi-Bewegung in Palästina.
“Wir haben viel Zeit”: Mehrfach vernommene Äußerung von Palästinensern – gerade auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung mit der sehr hohen Geburtenrate.
Boykott “Made in Israel” – Produkte, die in der Westbank hergestellt werden.
Viele Israelis wissen überhaupt nicht Bescheid über ethnische Säuberungen in der Westbank.
Unterstützung von palästinensischen Farmern: www.caritas-fairtrade.ch , www.canaanfairtrade.com
Die Antisemitismuskeule in D ist leider noch sehr wirksam.
Netanjahu braucht die Hamas und züchtet die Bedrohung (Zeilinger).
  
7) Diskussion
Schule “Talita Kumi” – Mädchen steh auf.
Israelische Opposition: David Grossmann, Abraham Oos, Abraham Burg (ehem. Knesseth-Sprecher), Levy Zimmermann.
Strammer Nationalismus in Israel überdeckt alles. Die Mehrheit der Israelis ist sekulär orientiert, aber gilt die Gleichung sekulär=nationalistisch? Nur ein jüdischer Staat gewährt Sicherheit.
Frau Hecht-Galinski darf nicht mehr nach Israel einreisen.
Schüleraustausch: Beim Besuch in Yad Vashem umarmen sich die Israelis und wir Deutschen stehen herum.
Ist die israelische Gesellschaft krank?
Solidarität ist besser als nur Betroffenheit zeigen (Frau Segger): Besuch von Bethlehems Bürgermeisterin Vera Baboun in Waldkirch.
Bedrohung “Wir treiben euch ins Meer” gilt nicht mehr (Frau Zeilinger).
Von Gewaltbereitschaft in der Westbank keine Spur, es herrscht Friedhofsruhe, Militärische Vorherrschaft Israels ist erdrückend, Depression auf breiter Ebene (Gugel).
Palästinensische Gesellschaft ist geprägt durch Korruption, Unterdrückung der Frau (Verweigerung der Frauenrechte, Beschneidung, Häusliche Gewalt) und Einschüchterung (durch Geheimdienste der Israelis sowie der Abbas-Regierung).
30-40% der Palästinenser arbeiten im öffentlichen Dienst, der großenteils durch EU-Gelder finanziert wird. Geld stellt ruhig.
Kolonialer Konflikt: Israel ist Kolonie und Mutterland zugleich (Gugel).

Israel bereisen: Die “üblichen” Pilgerreisen sparen Westbank und Golan leider aus.
Abgeordnete anschreiben. Direkte Gespräche. Information ist alles.
26.11.2013, Ekke

 

 

In kolonialistischem Geist erfolgte Landnahme in der Westbank
Eine historische Einordnung des Konflikts erscheint uns insofern wichtig, als dadurch die Kontinuität einer in kolonialistischem Geist erfolgten Landnahme zuerst der zionistischen Bewegung, dann Israels in Palästina bis hin zum Jordan deutlich wird. Sie wurde und wird begleitet von einer zeitlich in unterschiedlicher Intensität ausgeübten
Verdrängung und Entrechtung der vorher ansäßigen arabischen Bevölkerung, ein Prozess der natürlicherweise immer wieder Widerstand hervorrief. Heute wird diese Verdrängungsstrategie besonders krass im Besatzungsregime der Westbank fassbar. Dort herrscht jetzt “Friede”, keine Friede der zwischen Gleichen geschlossen wurde, sondern der Friede eines ausgefeilten und immer auch brutalen Unterdrückungssystems. Zudem stranguliert die fortgesetzte, gewaltsame und strategische geplante Siedlungsbewegung die einheimische Bevölkerung und macht intendierterweise deren eigenstaatliche Existenz zunehmend illusorisch.
Dr. Michael Gugel, m.gugel@gmx.de

Dieser Beitrag wurde unter Engagement, FairerHandel, Kirchen, Twintowns abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar