Veggie Day – Medienkampagne

Veggie Day –  Wie aus einem ökologischen Fürzlein aus der Nische des Grünen Wahlprogrammes ein bedrohlich-gigantischer Tornado gemacht wurde. Bild Zeitung, 5. August 2013  „Die GRÜNEN wollen uns das Fleisch verbieten“. Grünes Wahlprogramm S. 164, Abschnitt 1.5 Massentierhaltung – nein danke: „Pro Kopf und Jahr essen wir Deutsche rund 60 Kilo Fleisch. Dieser hohe Fleischverbrauch birgt nicht nur gesundheitliche Risiken. Er erzwingt auch eine Massentierhaltung, die auf Mensch, Tiere und Umwelt keine Rücksicht nimmt. Deshalb fordern wir mehr Verbraucheraufklärung zu den gesundheitlichen, sozialen und ökologischen Folgen des Fleischkonsums. Öffentliche Kantinen sollen Vorreiterfunktionen übernehmen. Angebote von vegetarischen und veganen Gerichten und ein „Veggie Day“ sollen zum Standard werden. Wir wollen ein Label für vegetarische und vegane Produkte.“ (Seite 164 (!), Abschnitt I. 5. Massentierhaltung – nein danke!).
   
Bundestagswahl 2013:  Ein Rückblick…
Da hatten sich die Grünen im Bundestagswahlkampf 2013 mit ihren Steuerplänen zumindest einmal ein wenig mit den Mächtigen im Lande angelegt… Die darauf folgenden Kampagnen der Einflussreichen und ihrer Lobbygruppen und deren Medienmacht hatten sie allerdings ein wenig unterschätzt.
Jetzt, mit einem gewissen Abstand zur Wahl, ist es notwendig, die gelungene Kampagne interessierter Kreise & Medien zu analysieren. Die Kampagne gegen den Veggie Day ist ein politisches Lehrstück, nicht nur für Parteien, sondern gerade auch für die Umweltbewegung und die sozialen Bewegungen in Deutschland. Wie war es möglich, ein ökologisches Fürzlein aus einer Nische des GRÜNEN Wahlprogrammes zu einem bedrohlich-gigantischen Tornado aufzublasen und die Medienkampagne gegen einen vegetarischen Tag in Kantinen, als „Kampf für Freiheit“ zu inszenieren? Wenn die sozialen Bewegungen solche Kampagnen nicht kritisch analysieren, dann müssen sie damit rechnen, ähnlichen gut organisierten Attacken genau so wenig entgegen zu setzen wie die GRÜNEN. Die Aktiven der GRÜNEN und der sozialen Bewegungen kommen häufig aus der Mittelschicht und neigen dazu, bei einem gut gemachten Angriff den Fehler zuallererst einmal bei sich selber zu suchen.

Veggie Day: Journalistischer Selbstläufer oder organisierte Kampagne?
a.. Ein rheinland-pfälzischer Bundestagsabgeordneter der CDU hatte Mitte Juli Berliner Journalisten zu einem Hintergrundgespräch eingeladen. Dabei wurde eine längere Liste von Verboten und Verbotsvorhaben der Grünen vorgestellt.
b.. Die FAZ griff das Thema am 16. Juli 2013 auf, ohne jedoch große Resonanz zu erhalten und verwies namentlich auf den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU, Michael Fuchs als Urheber der Liste.
c.. Am Folgetag kam die Bildzeitung mit einer ersten Meldung heraus, ohne jedoch besondere Resonanz zu erzielen.
d.. Zwei Wochen später brachte die Bildzeitung das Thema am 5. August unter dem Aufmacher „Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten!“ erneut heraus und gab dies auch als Meldung an die Nachrichtenagenturen weiter.
e.. „Die Tofu-Lawine lässt sich nicht mehr stoppen“ analysiert später die ARD-Journalistin Sarah Renner diesen Zeitpunkt der inszenierten Empörungswelle und schreibt weiter: „Der Empörungspegel steigt jetzt im Sekundentakt. Immer mehr Zeitungen, Radio- und Fernsehsender greifen das Thema auf.“
f.. Die begleitende Internetkampagne des neoliberalen Netzwerkes die „Achse des Guten“ verglich die „GRÜNEN-Idee“ mit dem „Eintopfsonntag“ der Nazis. „Alles für die Volksgemeinschaft“ lautet die Überschrift des entsprechenden Blog-Eintrags.
g.. Einen ähnlichen Vergleich wie die „Achse des Guten“ hat auch der Berliner FDP-Bundestagsabgeordnete Lars Lindemann gezogen. Der Gesundheitsexperte der Liberalen veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite eine Montage aus einem Grünen-Logo und einem NS-Propagandabild. Das Plakat zeigt eine Mutter, die ihren vier Kindern Stullen anbietet. „Eßt Vollkornbrot, denn es ist besser und gesunder“, steht darunter. Der Appell stammt aus einer Nazi-Kampagne zur Volksgesundheit. In der oberen rechten Ecke ist das Parteilogo der Grünen zu sehen
  h.. Das als Initiative getarnte Sprachrohr der Industrie, die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) macht in ihrem Blog aus einem „GRÜNEN Vorschlag“ einen „zwangsverordneten Veggie Day“
Der Wirtschaftswoche zufolge wurde der „Veggie Day“ im August zu einem der fünf am häufigsten diskutierten Themen und ließ „Überwachung“ oder „NSA“ hinter sich. Die von Bild begonnene Kampagne war in einem von vielen Medien gezielt inhaltsleer gehaltenen Wahlkampf eine der erfolgreichsten politischen Kampagnen der letzten Jahre und dies spiegelte sich auch im schlechten Wahlergebnis der GRÜNEN wieder.

Freiheit contra Veggie Day
Im Zusammenhang mit der gut organisierten Kritik am Veggie Day wurde häufig der Begriff „Freiheit“ genannt. Doch ging es bei diesem Kampf gegen einen fleischlosen Tag in Kantinen nicht eher um eine ganz andere „Freiheit“? Um die uneingeschränkte Freiheit, Gewinne auf Kosten von Menschen zu machen, um die Freiheit, AKW zu betreiben und mit Kohlekraftwerken das Klima zu verändern, um die Freiheit der Industrie, die Umwelt auszubeuten und zu zerstören? Ging es im Wahlkampf 2013 nicht eher um die Freiheit der Reichen, weniger Steuern zahlen zu wollen und noch reicher zu werden?
Die „Freiheit eines Tunnelbohrers“, sich bei der CDU mit einer sehr großen Wahlkampfspende für Stuttgart 21 erkenntlich zu zeigen, war im Wahlkampf natürlich überhaupt kein Thema.

Es gibt für die Umweltbewegung keinen Grund zur Häme
Wo waren wir, als in diesem Jahr Klimawandelleugner und neoliberale Netzwerke einen Shitstorm gegen das Umweltbundesamt organisierten und die Behörde mit dem Nazi-Propagandaministerium, des Propaganda-Ministers Goebbels verglichen wurde? Wo sind wir, wenn industriegelenkte Kampagnen gegen genkritische WissenschaftlerInnen an Bösartigkeit und Vernichtungswillen nicht mehr zu übertreffen sind? Nicht nur bei den GRÜNEN, auch bei den sozialen Bewegungen fehlt es an kritischer Analyse solcher Kampagnen und wer nicht analysiert, kann sich auch nicht wehren.
Die erfolgreiche Veggie Day Kampagne zeigte, wer Medien macht und wer Medienmacht hat in Deutschland. Und die Reaktion eines Teils der GRÜNEN auf diese Kampagne war leider nicht kluge Analyse, sondern Anpassung…

18.10.2013, Axel Mayer, Kreisrat Endingen, BUND-Geschäftsführer Freiburg, Vizepräsident Atomschutzverband Basel

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