Ultras im Stadion – Szenekenner sieht SC in der Pflicht

Illegale Pyrotechnik, Gewalt und vermummte Fans. Fußball-Deutschland fragt sich, was da in den Kurven passiert. Der südbadische Journalist Christoph Ruf berichtet für überregionale Medien wie „Stern“ und „Spiegel“ seit vielen Jahren über die Ultraszene. Im Gespräch mit Sven Meyer bewertet er die jüngste Eskalation.
Herr Ruf, was genau ist ein Ultra?
Ruf: Erstmal ist das eine Eigenbeschreibung, jemand sagt selbst von sich, er sei ein Ultra. Die meisten sind unter 30, viele sogar unter 20 Jahren. Inhaltlich gibt es ein sogenanntes Ultra-Manifest. Kurz gefasst, ist das eine rebellische, rein auf den Fußball bezogene Subkultur. Zurzeit werden Ultras gleichgesetzt mit Randalierern und Gewalttätern. So ist es nicht, wenngleich es einzelne Gruppierungen gibt, die Anlass zur Sorge geben.Was treibt diese Leute zu einem derart fanatischen Loyalismus?
Ruf: Ein Fanatismus, der sich darin äußert, jedes Spiel und jedes Trainingslager mitzunehmen, den gab es auch schon bei den Kuttenfans. Was neu ist, ist dass die Ultras ihre Liebe abstrakt definieren. Es geht ihnen um das nebulöse Erbe des Vereins, vor allem aber um die eigene Gruppe und ihre Choreografien. Man misst sich mit anderen Ultras und will sich einen bundesweiten Ruf erarbeiten. Im Gegensatz zu früher ziehen diese Leute ihren Stolz nicht mehr so sehr aus dem sportlichen Ruhm des eigenen Vereins.
Pyrotechnik ist in den Stadien illegal. Es gibt strenge Kontrollen. Wie schaffen es die Fans trotzdem, ihre Bengalos ins Stadion zu schmuggeln?
Ruf: Die Dinger sind verdammt klein und es ist den Ultras unglaublich wichtig, sie ins Stadion zu bekommen. Die kriegst du in den BH deiner Freundin, in Schuhe oder – unappetitlich – in Körperöffnungen rein. Vielleicht kennt man aber auch jemanden, der beim Catering arbeitet. Dann kommen sie gemeinsam mit den Bratwürsten ins Stadion. Oft werden sie im Gedränge aber auch einfach nicht bemerkt.
Erstaunt Sie die offenbar neue Dimension des Problems?
Ruf: Als langjähriger Beobachter erstaunt es mich nicht so sehr. Eigentlich war es sogar klar, dass nach dem gescheiterten Kompromissangebot seitens der Ultras (geduldetes Abbrennen in ausgewiesenen Stadionsektoren, Anm. d. Red.) etwas passieren würde. Dass es im Zusammenhang mit der Häufung der Vorfälle Absprachen gab, liegt auf der Hand.
Übertreiben Funktionäre und Medien oder besteht wirklich Grund zu größter Sorge?
Ruf: Ich möchte die Gefahren von Pyrotechnik auf gar keinen Fall verharmlosen. Wie das beim Spiel Düsseldorf gegen Hertha gehandhabt wurde, war verantwortungslos. Trotzdem halte ich es für falsch, wenn beispielsweise Hertha-Anwalt Schickhardt von „Todesangst“ spricht. In Düsseldorf gab es keine Körperverletzung. Dort wurden Bengalos abgefackelt und Leute sind auf den Platz gestürmt. Das gehört natürlich auch bestraft, hat aber erstmal nichts mit Gewalt zu tun. Ich persönlich hätte es spannend gefunden, wenn man in einer Testphase geschaut hätte, ob der Ultra-Kompromiss funktioniert hätte.
Könnten es sich die Clubs überhaupt leisten, die Ultras auszusperren?
Ruf: Nein, aber ich warte darauf, dass das der erste Politiker fordert.
Warum würde das nicht  funktionieren?
Ruf: Zum einen geht jeder junge Mensch, der ins Stadion geht, dahin, wo am meisten los ist. Die Bewegung wächst noch, Verbote würden sie nur interessanter machen. Zweitens ist die Bundesliga ein Unterhaltungsbetrieb. Das Produkt ließe sich schlecht verkaufen, wenn man in den Stadien auf einmal Friedhofsruhe hätte.
Wenn aber Ultras Mannschaftsbusse angreifen und Stadien in Nebel hüllen, könnten irgendwann die normalen Fans wegbleiben.
Ruf: Aufpassen muss man auf jeden Fall. Viele jüngere Ultras wollen sich in der Hierarchie hocharbeiten, indem sie möglichst viele illegale Dinge machen. Das ist ein unglaublich egoistisches Verhalten. Wenn die Ultras das nicht selbst abstellen können – im Sinne von Selbstreinigung –  hat sich das Thema irgendwann von selbst erledigt. Das sieht man doch jetzt schon, wenn das ganze Stadion applaudiert, sobald die Polizei den Fanblock räumt. Noch aber sehen viele traditionelle Fans die Szene auch als Vorkämpfer, weil die Ultras eben auch fordern, dass es immer Stehplätze und billige Tickets geben muss.
Wie steht es um die  Ultras beim SC Freiburg – herrscht hier südbadische Gemütlichkeit?
Ruf: Freiburg stellt in der Gesamtheit eine Insellage dar, weil es bis 1991 ja eigentlich keine richtige Fanszene gab. Ich sehe die Situation trotzdem kritisch. Der SC denkt immer noch, er hätte kein Fanprojekt nötig. Gerade ein Verein, der mit viel Expertise aus wenig Mitteln viel macht, weil er in allen Bereichen Experten verpflichtet, meint, sich gerade beim Thema Fans auf Ehrenamtliche und Pöstchenjäger verlassen zu können. Ich habe beim SC zwei Dinge noch nie verstanden: Die stockkonservative Skepsis gegenüber Prävention und Sozialarbeit und die Tatsache, dass das Wort „Ultra“ offenbar als Synonym für Problemfan gesehen wird.  Dabei sind es bei Freiburger Auswärtsspielen die vernünftigen Ultras, die erzieherisch auf die jungen einwirken, denen auch mal sagen: Du hast jetzt genug Bier getrunken! Der Verein sollte die vernünftigen Leute in der Ultraszene stärken, weil nur diese in der Lage sind, die anderen auszugrenzen.
Interview von Sven Meyer, www.der-sonntag.de

Christoph Ruf, Volker Backes und  Andreas Beune
„Ohne Fußball wär’n wir gar nicht hier – Geschichten von Fans in der Midlife-Crisis“
Verlag Die Werkstatt, 9,90 Euro, Taschenbuch 5/2012.

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