Gehoert Islam zu Deutschland?

Zu Jahresbeginn 2013 ist bei düsseldorf university press der Sammelband „Gehört der Islam zu Deutschland – Fakten und Analysen zu einem Meinungsstreit“ erschioenen. Aus ihrer Arbeit mit dem Thema „Islam“ in der Kinder- und Jugendhilfe, an Universitäten, Akademien, Medien- und Sozialwissenschaftlichen Instituten, für die Politik sowie für Religionsgemeinschaften argumentieren die Autoren gleichermaßen wissenschaftsorientiert wie praxiserfahren, um mit ihren Fakten und Analysen die emotional aufgeladene Diskussion um die Rolle des Islam in Deutschland zu versachlichen.

Buch „Gehört der Islam zu Deutschland? – Fakten und Analysen zu einem Meinungsstreit“
üsseldorf University Press, 28,80 Euro, 474 Seiten.
ISBN 978-3-943460-21-6

Die Publikation ist im Buchhandel erhältlich oder kann direkt beim Verlag bestellt werden:
E-Mail: info@dupress.de, Fax: 0211 / 81-14875

Vorwort zum Buch „Gehört der Islam zu Dutschland?“
Wir leben in einer Gesellschaft, die die Freiheit der Religionsausübung in ihrem Grundgesetz garantiert. Wir leben zweitens in einer Gesellschaft, in der die Religionsausübung im Verschwinden begriffen ist – zumindest was die jahrhundertelang in unseren Breiten dominierende christliche Religion betrifft. Lange schon sprechen Religionssoziologen vom Verdunsten des Christentums und meinen damit nicht nur die Tatsache, dass die Zahl der Kirchgänger seit vielen Jahren kontinuierlich abnimmt oder die Bereitschaft, an christlichen Dogmen wie etwa die Jungfrauengeburt zu glauben. Trotz großem Medienrummel anlässlich von Papstbesuch oder Weltjugendtag bringt es der Exodus des Christentums aus der Gesellschaft inzwischen mit sich, dass zumindest in der jungen Generation kaum noch jemand weiß, was eigentlich an Ostern oder Pfingsten gefeiert wird. Private Bibellektüre, Tisch- oder Abendgebet sind ebenso im Verschwinden, wie die Bereitschaft, sich den kirchlichen Vorgaben für die Lebensführung in Sachen Scheidung, Homosexualität, Sexualität außerhalb der Ehe, Schwangerschaftsverhütung etc. zu unterwerfen. Vor diesem Hintergrund muss das Vordringen der islamischen Religion aus den Hinterhof-Moscheen und Koranschulen in die Sichtbarkeit repräsentativer Moschee-Neubauten und in den Lehrplan deutscher Regelschulen viele Menschen irritieren. Zumal wenn zur selben Zeit der militante islamistische Fundamentalismus mit spektakulären Anschlägen Angst und Schrecken verbreitet, und zudem Kopftücher, Beschneidungszeremonien, Alkohol- und Schweinefleischverzichtsowie Fastenregeln im Ramadan eine für viele Muslime noch deutlich höhere Alltagsrelevanz ihrer Glaubensüberzeugungen belegen als wir das für die christlichen Konfessionen heute feststellen können. Die unweigerliche Verunsicherung und das diffuse Unbehagen, die heraus resultieren, werden freilichdurch die auf Aufmerksamkeitsgewinne schielenden medialen Aufheizmechanismen vielfach verstärkt. Von daher sollte der als Integrationssignal gemeinte Satz von Ex-Bundespräsident ChristianWulf im Jahr 2010, der Islam gehöre zu Deutschöand, zu einer Abkühlung und Verständlichung der Islamdebatte beitragen. Und tatsächlich hatte Wulf sich damit unter vielen Muslimen große Sympathien erworben. Andererseits aber auch scharfe Kritik von deutschen Konservativen eingefangen – was erneut zeigte, dass in dieser Hinsicht noch lange nichts wirklich selbstverständlich  ist.
Kaum im Amt, hatte etwa Bundesinnenminister Friedrich am 3. März 2011 gekontert, dass der Islam zu Deutschland gehöre, lasse sich historisch keineswegs belegen. Ob Friedrich wohl weiß, dass in den Jahren 1779 bis 1796 ein deutscher Kurfürst eine stattliche Moschee in seinem Schlossgarten errichten ließ? Im Geiste von Lessings Ringparabel – die übrigens auch 1779 veröffentlicht wurde – gab der Wittelsbacher Pfalzgraf und Kurfürst von Bayern Carl Theodor jedenfalls den Auftrag, das imposante Bauwerk als Ausdruck seiner aufklärerischen und um Toleranz zwischen den Weltreligionen und Kulturen bemühten Anschauung in den Schwetzinger Schlossgarten zu bauen. Neben den „künstlichen Ruinen“ von Apollotempel und römischem Viadukt, neben chinesischer Brücke und des Kurfürsten Badehaus („Lusthaus“), die dort ebenfalls ihren Platz fanden, war der Moscheebau ein zwar symbolischer, aber doch ernst gemeinter Hinweis auf die Einheit der Menschheit – trotz verschiedenster Traditionen und Religionen. Dem Geiste von Vorurteilslosigkeit und Toleranz sind auch die Beiträge dieses Bandes verpflichtet. der den vielfältigen Facetten islamischen Lebens in Deutschland in Geschichte und Gegenwart nachgeht – und neben kritischen Betrachtungen auch Zukunftsperspektiven eröffnet. Insgesamt geht es um die Überwindungdes bisherigen, vor allem auf Differenzen, Defizite und Problembereichefokussierten Islam-, Migrations- und Integrations-Diskurs und um eine Öffnungzur Wahrnehmung der Chancen, Bereicherungen und Hoffnungen, die mit einergelingenden Integration auch von Zuwanderern mit muslimischem Glauben verbunden sind. „Facetten, Vorurteile, Fakten – der Islam in Deutschland“  ist deshalb auch der Titel der Vortrags- und Diskussionsreihe, die das Institut für Internationale Kommunikation e. V., Düsseldorf (IIK) in Zusammenarbeit mit der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität parallel zum  Erscheinen dieses Bandes veranstaltet. Und damit die erste IIK-Abendakademie unter dem Titel „Bildung und Migration“ fortsetzt, deren Beiträge ebenfalls im Düsseldorfer Universitätsverlag düsseldorf university press (2011) erschienen sind.Die nüchterne wissenschaftliche Bestandsaufnahme zur Situation und zur Wahrnehmung des Islam in Deutschland ist der Anspruch der Beiträge dieses Bandes. Im Mittelpunkt sollte auch in der Islam-Debatte nicht eine abstrakte Religion mit ihren Regeln, ihren Geboten und Verboten stehen. Im Mittelpunkt können nur die Menschen mit ihrer z. T. aus Traditionen, z. T. aus selbst gestrickten Ritualen bestehenden religiösen und spirituellen Praxis stehen. Dabei sollte allerdings eines nicht übersehen werden: Auch wenn es im Islam heute im Vergleich zum „Verdunsten“ des Christentums noch ein höheres Maß an praktizierter Religiosität und eine strengere Befolgung von Lebensregeln gibt, findensich auch unter den Muslimen inzwischen viele, die nur noch einzelne Elemente dieser Religion aufgreifen. Die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2009) zeigt, dass je nach Herkunftsregion und muslimischer Glaubensrichtung der Anteil etwa derjenigen Muslime, die das Gebet täglich verrichten, zwischen 14 und 40 % liegt. Das heißt im Umkehrschluss: Ein Großteil praktiziert diese als eine der fünf Säulen des Islam fest verankerte Regel nicht, zumindest nicht regelmäßig. 16 % der türkischstämmigen, 34 % der aus dem Nahen Osten und immerhin 54 % der aus dem Iran stammenden Muslime praktizieren das persönliche Gebet sogar überhaupt nie. Ein Drittel aller muslimischen Frauen und ein Viertel aller muslimischen Männer in Deutschland geben an, dass sie das gemeinsame Freitagsgebet oder andere religiöse Veranstaltungen nie besuchen. Es ist gut möglich, dass diese nicht unerhebliche Gruppe der „säkularen Muslime“ sich für eine Debatte über „den“ Islam ebenso wenig interessiert wie den durchschnittlichen „Taufscheinchristen“, ob sich die katholische und die evangelische Kirche endlich auf ein gemeinsames Abendmahl geeinigt haben oder nicht. Inzwischen haben übrigens auch der neue Bundespräsident Joachim Gauck (im Mai 2012) und Kanzlerin Merkel (im September 2012) in unterschiedlichen Formulierungen davon gesprochen, dass die ca. vier Millionen Muslime in Deutschland ein Teil von uns, ein Teil von Deutschland seien. Es ist indessen davon auszugehen, dass die in diesem Band von Dr. Klaus Spenlen, einem exzellenten Islamkenner, arrangierten Beiträge dennoch so schnell nichts von ihrer Aktualität verlieren.

 

 

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