Denker: Drewermann, Klonovsky

Auf die Frage nach den derzeit größten Denkern – inklusive Denkerinnen, muß man heutzutage hinzufügen – in Deutschland kamen mir spontan zwei in den Sinn: Eugen Drewermann (82) und Michael Klonovsky (60). Erschreckend – nur zwei im Land der Dichter und Denker, und dazu noch so unterschiedliche, der eine eher im Religiösen und der andere im Politischen zuhause.
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Beide umfassend gebildet und mit der Gabe der freien Rede gesegnet. Es ist ein Genuß, ihnen zuzuhören, wenn sie so frei und geistreich sprechen. Drewermann in seinem sanften Ton fordert dem Zuhörer viel Konzentration ab – so beim fast zweistündigen manuskriptfrei gehaltenen Vortrag 9/2012 im Freiburger Historischem Kornhaus. Dieser ruhig-monotone Vortragsstil hat sich inzwischen geändert. Wer ihn zum Beispiel auf einer Demo der Friedensbewegung in Ramstein erlebt hat mit der „Friedensrede Kundgebung Stopp Drohnenkrieg! Tanz der Toten“ am 25.6.2022, der blieb hellwach. Zu den US-Militärdrohnen rief Drewermann erregt in schneidendem Ton ins Mikro „Wer am schnellsten und effektivsten morden kann“ https://youtu.be/BNwza3r_qgE
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Wenn Klonovsky seine Gedanken vorträgt, halten die vielen Geistesblitze den Zuhörer hellwach. Die Spannung auf die nächste Pointe hält an, seiner einmaligen Handschrift verdanken wir einmalige Wortschöpfungen.
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Beide Denker sind fleissige und kreative Publizisten. Eugen Drewermann mit seinen drei Schaffensbereichen Theologie, Psychoanalyse und Friedensbewegung. Nach sein Austritt als der römisch-katholischen Kirche 2005 überwiegen den beiden letzteren.
Michael Klonovsky ist Deutschland-Allrounder – 27 Jahre DDR und 33 Jahre BRD. Vor der Wende war er Gabelstapelfahrer im größten Schnapsdepot Ostberlins. 2001 erschien sein erster Roman „Der Ramses-Code“, ein Buch über die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen. 2022 gilt „Acta diurna“ (Geschehen des Tages) als intelligentester deutschsprachiger Polit-/Kultur-Blog, über den Klonovsky alle 2-3 Tage sagt, was er denkt. Dazu Thorsten Hinz in seiner Geburtstagslaudatio „Ein Fackelträger durch die Trübnis„: „Über die Jahre ist so das inoffizielle Journal einer Nation entstanden, die wild entschlossen der Vollendung ihrer Demenz entgegenstrebt“.
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Interessiert an den beiden Denkern? Einen raschen Einstieg bieten die sozialen Medien. Drewermann’s Kanal https://www.youtube.com/c/drewermannkanal , allerdings nicht für seine erste Schaffensperiode der Theologie.
Und Klonovskys Homepage https://www.klonovsky.de mit seinem Tagebuch „Acta diurna“ https://www.klonovsky.de/acta-diurna/ und dem Gettr-Streamingdienst „Klonovsky live“ über https://gettr.com/user/Klonovsky
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Als Denker mit zum Glück abweichenden Meinungen müssen Drewermann wie Klonovsky Anfeindungen ertragen – Drewermann von den christlichen Kirchen und Klonovsky vom polit-medialen Komplex.
Drewermann’s Kritik an den biblischen Dogmen der katholischen Kirche führte zum Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis am 8.10.1991, ein Jahr dananch wurde er vom Priesteramt suspendiert. Erst 2005 trat er aus der katholischen Kirche aus, dies mag zeigen, wie schwer ihm dies fiel.
Als sich Drewermann mit der (doch linken) Friedensbewegung einläßt, beginnen die Medien, ihn als Querdenker in die rechte Ecke bis hin zu Nazi zu stellen. Auch sein Alter wird angeführt (Demenz). Das Publik-Forum spricht von „Gedankenverirrung“ und kritisiert z.B : „Die theologische Kernthese Drewermanns lautet: Die Überwindung der Angst befreit den Menschen zum Individuum. Diese These findet sich nun in der Vorstellung wieder, die Warnungen vor dem Virus und der Pandemie seien nichts als Angstmache, die die Menschen in Gehorsam und Abhängigkeit halten sollen. … Das Gesamtwerk Drewermanns ist historisch. Nur einer könnte es gefährden: Eugen Drewermann selbst.“
25,2,2022 auf https://www.publik-forum.de/Religion-Kirchen/ein-prophet-auf-irrwegen/
Einem Menschen, der imstande ist, eine 90 minütige Rede frei zu halten vor einem anspruchsvollen und fasziniert lauschendem Publikum, wird indirekt eine Geistesverwirrung bzw. -krankheit vorgeworfen. Die vielen Zuschriften im Qualitätsjournalismus beanspruchenden Publik-Forum zeigen, daß solch primitive mediale Schelte einem Denker vom Format eines Eugen Drewermann nicht adäquat ist.

Anders als Drewermann scheint Klonovsky den medialen Gegenwind eher zu geniessen – als Gelegenheit zu geistreicher Replik. So antwortet er einem SPD-MdB, der ihn als AfD-Kandidat von Chemnitz diskreditieren will: „Es stimmt, ich bin nicht Mitglied Ihrer Partei. Aber ich war auch nie Mitglied der SED.“ Klonovsky kommt seine Schlagfertigkeit zugute und er nutzt sie. Steinmeier’s Hypothese „Wir leben im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“ setzt Klonovsky seine eigene Erfahrung entgegen: „Ich komme aus der DDR. Ich komme aus der Zukunft“.

Drewermann hadert mit Kirche und Gesellschaft. „Sie müsste sich von den Menschen her erneuern, statt weiter nur die Ruine, die geblieben ist, tapezieren zu wollen. Es müsste sich allerdings auch in unserer Gesellschaft viel ändern. Die basiert auf einem Kapitalismus, der ganze Kontinente versklavt. Wie kann man das als Bürger mitmachen und sich trotzdem Christ nennen? Das begreife ich nicht.“ sagte er am 27.5.2019 dem Stern
https://www.stern.de/panorama/eugen-drewermann–was-macht-der-kirchenkritiker-heute–8722932.html

Mit seinen 82 Jahren hat Drewermann 20 Jahre länger die Anfeindungen eines Denkers mit abweichender Meinung ertragen müssen als Klonovsky. Und diese Anfeindungen nehmen von Jahr zu Jahr zu. Da immer weniger diskutiert und argumentiert, als vielmehr eine richtige Meinung bzw. Haltung abgewehrt wird.
Obwohl als brilliante Diskutanten anerkannt, werden beide nicht mehr in die Talkshows der ÖRR wie Mainstreammedien eingeladen. Aus Angst vor der abweichender Meinung zweier gebildeter Männer? Bleibt ihnen das Cancel-Culture-Instrument unserer woke dominierten Gesellschaft erspart?
Der Mensch als soziales Wesen ist auf den Austausch von Gedanken angewiesen. Er muß das Gedachte den anderen mitteilen, sofort im Sprechen oder oder später im Schreiben. Er muß Zuhörer finden. Verbietet man das Reden, dann beeinträchtigt man auch das Denken (John Stuart Mill).

Eugen Drewermann aus Paderborn wie Michael Klonovsky aus München sehen voller Pessimismus in die Zukunft Deutschlands – letzterer aber durchaus heiter:
„Wie verzweifelt muß ein Mensch sein, der sich in den Optimismus flüchtet“ – so outet sich Klonovsky in seinen Aphorismen als Pessimist, aber als ein ironischer und fast heiterer. Letzteres belegt er so: „Verschwände Deutschland über Nacht vom Planeten, würde das am Klima nichts ändern. Was mich betrifft: Ich wäre, auf das Risiko der Erwärmung, auch künftig gern mit von der Partie.“
24.8.2022

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